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Eisenhart und zu konservativ

■ Helga Trüpel und Bremer Stahlallianz bemühen sich um türkische MigrantInnen / Kaum Betreuung für psychosomatische Krankheiten

„Türkische Männer können keine Schwächen zeigen – wir sind eisenhart“, meint Celal Ugurlu. Der junge Türke ist Betriebsratsmitglied bei der Klöckner Hütte und wird es wissen. Über Probleme spreche man unter Freunden nicht, in der Familie schon gar nicht. „Das Wort Psyche gibt es in der türkischen Familie nicht“, sagt Ugurlu, wenn ein Türke psychische Probleme habe, schlucke er sie eben herunter. „Sonst denken die anderen noch, du bist verückt“.

Doch die Probleme aus der Arbeitswelt oder der Familie runterschlucken und verdrängen, führt auf Dauer zu gesundheitlichen Problemen. Dr. Hartwig Koziel, Betriebsarzt bei Klöckner, hat viel mit den psychosomatischen Problemen der türkischen ArbeitnehmerInnen in der Hütte zu tun. Rund 800 TürkInnen arbeiten bei Klöckner, immerhin zwanzig Prozent der Beschäftigten. Viele kämen mit Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Angstzuständen oder Herzrhythmusstörungen zu Konziel. „Störungen im Gefühlsbereich“ sieht er als Ursache bei den TürkInnen für die Krankheiten. „Bei Türken sind die seelischen Belastungen größer, als bei den Deutschen“, sagt der Arzt.

Die bei vielen auch nach dreißig Jahren noch fremde deutsche Umgebung verunsichere die TürkInnen. Was soll aus den Kindern werden, wo werde ich begraben? fragen sich viele MigrantInnen der ersten Generation. Die zweite und dritte Generation der TürkInnen fühle sich zerrissen zwischen türkisch-islamischer Tradition und „Heimat Deutschland“.

„Doch gerade für Türken sind die therapeutischen Möglichkeiten besonders schlecht und mit Medikamenten kommt man der Sache nicht bei“, sagt Betriebsarzt Koziel. Um die psychosozialen Krankheiten zubehandeln, müsse eine „Idealperson“ gefunden werden: Jemand der gut türkisch spreche, die Verhältnisse der TürkInnen kenne und zudem noch eine medizinisch-therapeutische Ausbildung habe.

Die ideale Fachfrau wurde gefunden, allerdings in Istanbul. Dr. Nursel Telman, Psychologin und Dozentin an der Universität Istanbul, konnte zwar nicht extra nach Bremen ziehen, hatte aber einen Monat Zeit, um den türkischen MigrantInnen in Bremen zu helfen.

Helga Trüpel, Senatorin für Kultur und Ausländerintegration, hat Nursel Telman daher an die Weser eingeladen. Zusammen mit der bremer Stahlhütte Klöckner, dem Bremer Vulkan und dem Betriebsrat von Mercedes Benz hatte das Ressort für Ausländerintegration eine Veranstaltungsreihe für türkische ArbeitnehmerInnen und ihre Familien initiiert. Vier Wochen sollte die türkische Psychologin insgesamt 15 Projekte in Bremen durchführen, sechs davon nur für türkische Frauen.

„Die Menschen sind es überhaupt nicht gewohnt, daß für menschliche Belange Veranstaltungen abgehalten werden“, sagt die erstaunte Frau. Immer wieder sei sie nach ihrer politischen Richtung gefragt worden. „Dreißig Jahre sind für die TürkInnen hier nur politische Diskussionen durchgeführt worden“, hat Telman bemerkt, das Mißtrauen ihrer SeminarteilnehmerInnen sei dementsprechend groß gewesen. „Die Männer haben es außerdem überhaupt nicht gelernt, über ihre Probleme zu sprechen“.

Dafür haben die Frauen lebhaft diskutiert, sagt Telman. Sie wollte vor allem Denkschablonen aufbrechen. Die MigrantInnen der ersten Generation haben den Bezug zum Leben in der Türkei verloren. In den vergangenen Jahren hat sich das städtische Leben zumindest in der Westtürkei liberalisiert. Jungen und Mädchen treffen sich ohne Anstandswauwau in ihrer Freizeit, haben Beziehungen zueinander. „In der Türkei ist es mittlerweile üblich und gern gesehen, daß der Freund der Tochter nach hause zu den Eltern kommt“, erzählt Telman. So wissen die Eltern, mit wem ihre Tochter zu tun hat und die Jugendlichen bräuchten sich nicht heimlich zu treffen.

Die in Bremen lebenden TürkInnen hielten dagegen noch hartnäckig daran fest, daß die Tochter überhaupt keinen Freund haben dürfe. Und das führe zu Spannungen in der Familie. Im Urlaub in der Türkei könne das konservative Bild in den Köpfen nicht revidiert werden. In vier Wochen ändere niemand „Denkschablonen“. Den Anfang hat Nursel Telman in vier Wochen in Bremen gemacht. fok

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