Einwanderung: EU spart Seepatrouillen ein
Die EU stoppt Seekontrollen im Mittelmeer gegen afrikanische Boat People. Nicht aus Mitgefühl, sondern aus Geldmangel. Das macht illegale Einwanderung weniger gefährlich.
BERLIN taz Zehntausende Afrikaner machen sich jedes Jahr auf die gefährliche Reise Richtung Europa, um Geld zu verdienen - und nun scheitert die gemeinsame EU-Abwehr der Einwanderung aus Afrika an Geldmangel. Die Seepatrouillen der EU-Grenzagentur "Frontex" im Mittelmeer sind nach Angaben der EU-Kommission vorzeitig beendet worden. "Wenn ich es recht verstehe, gibt es momentan eine Pause", sagte ein Sprecher des zuständigen EU-Kommissars Franco Frattini am Donnerstag. Für die Wiederaufnahme gebe es keinen Termin.
"Frontex" fuhr seit Sommer 2006 gemischte Patrouillen aus mehreren europäischen Ländern, um Bootsflüchtlinge zu stoppen, die von Westafrika über den Atlantik Richtung Kanaren fahren und von Nordafrika über das Mittelmeer Richtung Malta und Italien. Die Atlantik-Patrouillen haben letztes Jahr nach offiziellen Angaben allein im Hauptauswanderungsland Senegal rund 1.500 Auswanderer aufgegriffen; knapp 32.000 "Boat People" erreichten 2006 die Kanaren, weitere 700 starben auf dem Seeweg. Im Mai und Juni 2007 stoppten die EU-Schiffe im Mittelmeer 910 Flüchtlinge auf Booten.
Eine neue Frontex-Operation im Mittelmeer war am 24. Juni gestartet worden, nachdem mehrere Dutzend Insassen eines gesunkenen Bootes aus Afrika sich tagelang auf hoher See an einem Schleppnetz von Fischern aus Malta festhalten mussten, weil die Malteser sich weigerten, sie aufzunehmen. Diese letzte Operation lief Ende Juli aus. Eigentlich hatte die EU eine Verlängerung über den Sommer geplant, wenn traditionell besonders viele Boote aus Afrika in See Richtung Europa stechen.
EU-Kommissar Frattini nahm Anfang Juli erstmals an einer Frontex-Patrouillenfahrt teil und kündigte danach in Malta an, ab 2008 würden die Patrouillen eine ständige Einrichtung. Er beklagte allerdings auch, dass die EU-Mitgliedsländer ihre Zusagen nicht eingehalten hätten. Von 115 versprochenen Booten stünden nur 20 zur Verfügung, von 25 Hubschraubern nur drei, darunter zwei aus Deutschland.
Die europäischen Patrouillen haben den Afrikanern die Reise erschwert und waren deshalb möglicherweise für Todesfälle verantwortlich. Boote aus Senegal sind beim Versuch, den EU-Schiffen auszuweichen, schneller in die Hochsee hinausgesegelt, statt möglichst lange die Küste entlangzufahren. Manchen wurde das zum Verhängnis.
2007 war bisher kein so gutes Auswanderungsjahr wie 2006. Nur das kleine Malta mit seinen 400.000 Einwohnern klagt über zunehmende Flüchtlingsströme - über 1000 Afrikaner sind dieses Jahr dort gelandet. Allein am 25. Juli landeten dort 54 Afrikaner, am Folgetag 57.
Auf den zu Spanien gehörenden Kanaren landeten dieses Jahr bisher weniger als 5.000 Boat People, und auch in Italien liegt der Trend weit unter dem von 2006, als insgesamt 22.000 illegale Einwanderer per Schiff kamen. In Senegal bilanzierte die Regierung kürzlich, die Zahl der für Auswanderung Richtung Kanaren genutzten Fischerboote sei seit 2006 von 900 auf 100 gesunken. Das benachbarte Mauretanien meldete einen Rückgang der registrierten illegalen Ausreisen von 11.000 im Jahr 2006 auf unter 3.000 bislang dieses Jahr. In Niger sorgt der Konflikt zwischen Regierungsarmee und Tuareg-Rebellen dafür, dass die Trans-Sahara-Route über die Wüstenstadt Agadez Richtung Libyen, eine der wichtigsten Reiserouten der Auswanderer, kaum noch genutzt wird. Dazu kommen Massendeportationen aus Libyen und auch rabiates Vorgehen von Sicherheitskräften in anderen Transitländern - erst diese Woche erschoss die marokkanische Armee an einem Strand der Westsahara zwei Senegalesen.
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