Einsturz Kölner Stadtarchiv: Der Parteibuchfilz
Der Kölner Oberbürgermeister tut sich bei den Verkehrsbetrieben schwer, wirksam durchzugreifen: die fein politisch austarierte Unternehmensführung der KVB.
KÖLN taz Fast jeden Tag seit der Katastrophe vom 3. März wird Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma von neuen Vorgängen rund um den Bau der Nord-Süd-Stadtbahn überrascht. Nach den neuesten Enthüllungen hat er nun erneut die für den U-Bahn-Bau zuständigen Kölner Verkehrs-Betriebe aufgefordert, "mit einer offensiven Informationspolitik für Aufklärung zu sorgen".
Kaum jemand in Köln kann nachvollziehen, dass sich nach dem Unglück das Stadtoberhaupt immer noch solch hilfloser Appelle bedienen muss. Denn die KVB ist ein kommunales Unternehmen. Zu 10 Prozent gehört es der Stadt, die übrigen 90 Prozent halten die Stadtwerke, die wiederum eine hundertprozentige Tochtergesellschaft der Stadt sind. Da müsste doch das Wort des Oberbürgermeisters Gesetz sein. Doch das ist eine Fehlannahme. Denn bei den KVB-Vorständen handelt es sich nicht um einfache Manager. Die Führungsstruktur des Unternehmens ist sorgsam politisch austariert. Vorstandvorsitzender ist traditionell ein Sozialdemokrat. Seit Januar dieses Jahres sitzt Jürgen Fenske auf diesem Posten, früher in Kiel Büroleiter von Peer Steinbrück. Mit dem früheren Ford-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Wilfried Kuckelkorn stellt die SPD auch den Aufsichtsratsvorsitzenden. Der für den U-Bahn-Bau zuständige Technikvorstand Walter Reinarz besitzt hingegen ein christdemokratisches Parteibuch. Im März vergangenen Jahres trat er als Kölner CDU-Vorsitzender zurück, nachdem Kritik an einer großzügigen Pensionsregelung laut wurde, die ihm in seinem KVB-Vorstandsvertrag zugebilligt worden war.
Weil sie frühzeitig von dem jetzt öffentlich gewordenen "hydraulischen Grundbruch" erfahren hätten, fordert die SPD jetzt den Rücktritt von Reinarz und von Baudezernent Bernd Streitberger (CDU). Ein Ansinnen, das Schramma zurückwies.
Die Linkspartei fordert weiter reichende personelle Konsequenzen: Wenn man die Messlatte der SPD beim Rücktritt von Streitberger und Reinarz anlege, müsste auch SPD-Mann Fenske gehen. Denn schließlich sei auch er frühzeitig informiert gewesen. Und für sie ist auch Schramma jetzt fällig. "Sein Rücktritt sei notwendig, weil er der notwendigen umfassenden Aufklärung der Hintergründe des Unglücks am Waidmarkt offensichtlich im Weg steht", sagt Linke-Fraktionschef Jörg Detjen. Bei der Aufklärung dürfe nicht länger Rücksicht auf Parteibücher genommen werden. Das jedoch wäre etwas völlig Neues in Köln.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Sauerland als Wahlwerbung
Seine Heimat
Pragmatismus in der Krise
Fatalismus ist keine Option
Erstwähler:innen und Klimakrise
Worauf es für die Jugend bei der Bundestagswahl ankommt
Totalausfall von Friedrich Merz
Scharfe Kritik an „Judenfahne“-Äußerungen
Wahlergebnis der AfD
Höchstes Ergebnis für extrem Rechte seit 1945