■ Einmal Stasi – immer Stasi?: Keine lebenslange Sühne
Gesellschaftliche Aufarbeitungsprozesse sind, das lehrt auch die Stasi-Debatte, kein einheitlicher Strom. Es gibt durchaus gegenläufige Tendenzen. Unübersehbar ist die Verdrängung und die kollektive Selbstentlastung jener, die schuldig geworden sind und jetzt in den wiedereroberten gesellschaftlichen Schaltstellen sitzen und in einem rückgekoppelten Prozeß die Vergangenheitsbereinigung organisieren nach dem Motto: Wo alle schuld sind, ist keiner schuld. Der brandenburgische Ministerpräsident Stolpe gehört dazu und jene SED-Kader in nicht wenigen ostdeutschen Zeitungen, die das Thema zur eigenen Entlastung herunterfahren. Daneben aber gilt im öffentlichen Dienst immer noch die unbarmherzige Kündigung unterschiedslos aller ehemaliger Stasi-Mitarbeiter oder informeller Zuträger. Wenn der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen jetzt dies – auch wenn die Stasi-Mitarbeit verschwiegen wurde – kritisiert, dann ist das bemerkenswert. Es ist schließlich absurd: Totschlag wäre nach dreißig Jahren längst verjährt; wer aber vor dreißig Jahren einen Bericht für die Stasi geschrieben hat, fliegt jetzt aus dem öffentlichen Dienst. Das ist nicht die Schuld der zur Auskunft verpflichteten Gauck-Behörde, sondern der öffentlichen Arbeitgeber. Wenn heute ein ehemaliger Stasi-Mitarbeiter nicht mehr in öffentlichen Kantinen arbeiten darf, ist das genauso so dumm, wie das westdeutsche Berufsverbot für Lokführer mit DKP-Mitgliedsbuch war. Bündnis 90/Die Grünen, die jetzt Diepgen für seine Äußerung schelten, beharren dagegen auf einem unbarmherzigen Prinzip der Rache – anstatt Diepgen beim Wort zu nehmen und das Instrumentarium zu schärfen. Funktionsträger der SED-Nomenklatura dürfen keine Chance haben, aber lebenslange Sühne ohne Ansehen des späteren Lebenswegs kann es nicht geben. Gerd Nowakowski
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