■ Einigung der Koalitionäre über das Kindergeld: Nichts ist vorwärtsgegangen
Jetzt wird sie sich brüsten. Doch dazu gibt es keinen Grund. Die Koalition präsentiert eine „Reform“ des Familienlastenausgleichs und täuscht erneut routiniert Wahlvolk und Öffentlichkeit. Was die Regierung nach lauten Wehen vollbracht hat, ist nicht mehr als pflichtgemäß. Sie nimmt auf unterstem Level ein Urteil des Verfassungsgerichts zur Kenntnis. Im übrigen entschied sie strukturpolitisch konservativ, heftete sich eine erzwungene finanzielle Wohltat an die Brust und kocht ihr ideologisches Familiensüppchen.
Der vorgesehene steuerliche Freibetrag beziehungsweise das Kindergeld decken das Existenzminimum für ein Kind, gemessen an der Sozialhilfe, und das ist mehr als bislang. So wollte es zu Recht das Bundesverfassungsgericht. Daß dabei das erste und zweite Kind mit 200 Mark weniger wert ist als das dritte mit 300 Mark Kindergeld erklärt sich mit dem erklecklichen Spareffekt einerseits und dem schönen Anreiz für möglichst viele Kinder andererseits. Trotz unionsinternen Streits hat sich die Koalition für die Beibehaltung des dualen Systems von Steuerfreibetrag und Kindergeld, zwischen denen gewählt werden darf, entschieden. Der Hintersinn liegt darin, daß so hohe Einkommensgruppen billiger wegkommen als die Durchschnittsmenschen. Auch bleibt die Kinderförderung via Steuer mit den ehelichen oder nichtehelichen familiären Verhältnissen der Eltern verbunden, statt daß an jedes Kind gleichermaßen ein eigenständiges Kindergeld gezahlt würde. Dieses müßte als Existenzminimum 270 Mark betragen, was gar niemand mag. Die SPD forderte 250 Mark und die Kinderfreunde in der CDU 215 Mark. Die Koalition hat sich dem Finanzminister gebeugt und nicht mehr als sechs Milliarden Mark Mehrkosten eingeplant.
Im Namen der Einfachheit und Klarheit soll die Abrechnung künftig nicht mehr über die Arbeitsämter, sondern die Finanzämter erfolgen. Das ist sogar zu begrüßen, herrscht dort doch nicht der anrüchige Geruch der Gewährung von Sozialleistungen. Trickreich nur, daß auf diesem Wege auch die Kosten vor allem auf die Länder und Gemeinden abgewälzt werden können. Daß diese pleite sind, weiß jedes Landeskind. Kaum anzunehmen, der Bundesrat würde dieser Koalitionsvorlage zustimmen. Die feine Reform wird ins verzweigte Gleissystem eines Verschiebebahnhofs geraten und sich hinziehen.
Nichts also ist vorwärtsgegangen. Die strukturellen Weichen werden falsch gestellt, und mehr Geld für Kinder wird es 1996 so nicht geben. Es ist unerfindlich, weshalb die SPD Zustimmung signalisiert und der Koalition nicht die – ausnahmsweise einmal klare – politische Forderung nach einem einheitlichen Kindergeld um die Ohren haut. Mechtild Jansen
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