: Einig in der Analyse, nicht in der Aktion
■ Schulpolitik - Kürzungen und Perspektiven: taz-Gespräch mit A. Ammonn(GEW) und R. Behrens(DL)
Der GEW wurde 50.000 Mark Zwangsgeld angedroht, wenn sie zur Demo am Mittwoch aufruft. Haben Sie damit gerechnet?
Ammonn: Absolut nicht. Signale aus der Schulbehörde weisen eher darauf hin, daß es Sympathien dafür gibt, daß Eltern, Lehrer und Schüler zu einer gewaltigen Widerstandsaktion aufrufen. Die Sparmaßnahmen treffen ja auch Planer in der Schulbehörde, deren Spielräume immer enger werden. Daß sich jetzt die Juristen oder möglicherweise auch der Senat durchgesetzt haben, macht für uns eigentlich nur eines deutlich: daß die für 1995 beschlossenen Sparmaßnahmen nicht das letzte Wort sind, und daß deshalb der Protest im Keim erstickt werden soll.
Der Aufruf steht trotzdem?
Ammonn: Auf jeden Fall. Bei den Kollegen stößt das Verbot auf solche Wut und Empörung, daß wir meinen, daß dies nochmals die Mobilisierung erhöht.
Der DL hat nicht zu so einer Demo aufgerufen. Verspüren Sie eine heimliche Schadenfreude?
Behrens: Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch eine große Podiumsveranstaltung einberufen für Montag abend. Allerdings rufen wir nicht zu einer Vormittagsdemonstration auf, weil wir befürchten, daß dies unseren politischen Gegnern Auswege eröffnet, die der Sache schädlich sind. Daß nur debattiert wird, wie reich Lehrergewerkschaften sind, die 50.000 Mark zahlen, oder wie trotzig sind Lehrer und Schüler. Während das öffentliche Interesse von dem fürchterlichen Mangel, der uns ins Haus steht, abgelenkt wird.
Sind sich DL und GEW in der Analyse einig?
Behrens: Ich glaube schon. Die Schülerzahlen steigen. Die Anforderungen an Schule nehmen zu. Schule wird in weiten Feldern Familienersatz. Das Argument „Sparen müssen wir auch an Schule“, kann der DL also nicht akzeptieren. Wenn es heißen würde, wir sparen die Pflegeversicherung, kürzen bei Umweltansprüchen oder Renten, dann würden alle aufschreien.
Ammonn: Ich habe gelesen, daß der DL den Senatsbeschluß, keine Lehrerstellen zu streichen, als einen relativen Erfolg der Schulsenatorin bewertet hat. Man muß noch mal klarmachen, was dies bedeutet: Tatsache ist, daß im nächsten Jahr circa 3000 zusätzliche Schüler an Hamburgs Schulen kommen und man dafür 250 Lehrer bräuchte. Und diese werden nicht eingestellt, statt dessen bleibt der Status-Quo bestehen. Das bedeutet, daß im Umfang von 250 Stellen innerhalb eines Jahres Maßnahmen ergriffen werden müssen, die es ermöglichen, daß man mehr Schüler mit der gleichen Zahl Lehrer unterrichtet. Wir wissen noch nicht, was, aber es wird etwas geben in Richtung Arbeitszeitverlängerung, Klassenfrequenzerhöhung, Stundentafelkürzung, bedarfsdeckender Unterricht durch Referendare, eine Mischung aus allem oder Streichung ganzer Bildungsgänge. Das ist kein Erfolg, das ist eine Katastrophe.
Behrens: Ganz genau. Der Status-Quo-Erhalt ist zwar gegenüber der vorangegangenen Drohkulisse ein relativer Erfolg. Aber er bedeutet allein in diesem Jahr eine Verschlechterung der Lernbedingungen um 3 Prozent.
Wer sind denn die eingangs erwähnten politischen Gegner?
Behrens: Auch die Schulsenatorin. Ich erwarte von Frau Raab, daß sie ihre Senatssolidarität zurückstellt und uns Lehrer mindestens mit einem Appell unterstützt. Statt dessen stellt sie falsche Fragen. Es ist einfach nicht an der Zeit, Stellen zu sparen, wenn unsere Altersstruktur so aussieht, wie sie ist. Wer heute nicht einstellt, gefährdet die Funktionsfähigkeit des Systems in 10, 15 Jahren. Das erinnert mich an mein Hobby, die Imkerei. Wenn da sich im August keine Bienen entwickeln, ist das Volk im nächsten Frühjahr tot.
Was erwarten Sie von Raab?
Behrens: Daß sie sagt: Es sind schlimme Zeiten, wir müssen an die Zukunft denken und daß sie auch im Senat so redet und nicht mit Kleinklein, hier mal Ferien kürzen und da mal, die Lehrer sind zu wehleidig oder de Lorent versteht die Wirtschaft nicht. Das ist nicht auf der Höhe des Problems. Meinetwegen kann man Lehrer mit Nullrunden traktieren, aber eingestellt werden muß.
Ammonn: Die Behörde müßte unseren Protest als Unterstützung für Bildungsplaner und -politiker begreifen. Aber die Geschichte, die sie jetzt macht, mit Zwangsgeld und massivsten Verbotsandrohungen, zeigt, daß die Behörde sich auf die andere Seite stellt. Dort betreibt man ein Personalmanagement, das blöd, dumm und unzeitgemäß ist. Statt die Lehrer zu motivieren, werden sie beschimpft und vor den Kopf gestoßen.
Ein paar nettere Worte, und Sie akzeptieren Sparmaßnahmen?
Behrens: Nein, nein. Es müssen die richtigen Fragen gestellt werden. Das schlimme an der Politik ist, daß gesagt wird, 1995 wird es nicht so wild. Aber wir wissen, daß wir bis 2000, wenn wir 30.000 Schüler mehr haben, 1800 Lehrerstellen und ungefähr 1200 Räume mehr brauchen. Und die Raumfrage ist genauso prekär, nach unserer Einschätzung vielleicht sogar der Grund, dessentwegen man um 2000 niemand wird einstellen können: weil wir schlicht keine Klassenzimmer haben. Was das noch perversere Szenario ist.
Wenn Sie beide sich doch einig sind, warum dann kein gemeinsamer Appell?
Behrens: Die letzten Wochen sind vom Wahlkampf für die Personalräte geprägt.
Ammonn: Wir warten gespannt auf Vorschläge für massenwirksame und durchsetzungsfähige Protestformen seitens des DL. Allein eine Podiumsdiskussion ist wohl der Situation nicht angemessen. Die GEW hat ein elefantöses Gedächtnis und wir erinnern uns an 1988, wo wir den ersten Lehrerstreik für Arbeitszeitverkürzung auf die Beine gestellt haben. Da sind Sie, Herr Behrens, uns am Tag des Streikes über die Bild in den Rücken gefallen.
Behrens: Dieses Zitat war falsch wiedergegeben, ich habe mich damals vergeblich um Korrektur bemüht. Aber es paßt gut in den Wahlkampf, es immer wieder zu benutzen. Ich meine grundsätzlich, es ist angebracht, daß wir uns neue Formen der Auseinandersetzung überlegen. Wir müssen intensiv mit Eltern und Schülern zusammenarbeiten, und zwar ausgehend von den jeweiligen Schulen und Schulformen. Dazu gehört auch, daß wir beide akzeptieren, daß es zwei Lehrergewerkschaften gibt. Und zweitens: daß Sie die Vielfalt des Schulwesens akzeptieren. Sie müssen die ohnehin nicht finanzierbare Vorstellung des einheitlichen vollintegrierten Schulwesens als Ziel ein bißchen zurückstellen.
Ammonn: Falls sich hinter dieser Formulierung Ihre Schwierigkeiten mit der Gesamtschule verbergen...
Behrens: Wir haben keine.
Ammonn: ...und mit deren Besserausstattung.
Behrens: Nein, nein. Ach.
Ammonn: Gut. Wir akzeptieren die Vielfalt der Schulen in Hamburg. Wir bevorzugen in dieser Auseinandersetzung auch nicht eine Schulart. Wir werden diejenigen sein, die sich gegen einen möglichen Spaltungsversuch, der in der Behörde angedacht wird – nämlich als erstes die Gymnasial- und Berufsschullehrerarbeitszeit zu verlängern – heftigst wehren. Genauso wie wir dagegen sind, über den Abbau bestimmter Bildungsgänge zugunsten anderer zu spekulieren.
Fragen: Kaija Kutter
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen