: Einfach tief durchatmen
In München gibt es immer mehr rauchfreie Klubs. Erst wollten Musiker bessere Luft, jetzt kommen deshalb mehr Gäste
AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER
Bei der zweiten Zugabe greift JoJo Mayer doch zur Zigarette. Zwei Stunden hat sein Deutsch-Schweizer Jazztrio Depart ein feines Set abgeliefert, irgendwo zwischen Drum & Bass, Funk und Swing. Im „Unterfahrt“, tief unter dem Münchner Max-Weber-Platz, kleine Tische, Stühle, Bühne, Bar, ein richtiger Jazzkeller. Bis auf den üblichen Qualm: Seit einem halben Jahr wird hier während der Sets nicht mehr geraucht. Und so löst Drummer Mayers Zigarette hektische Betriebsamkeit aus: Schnell wird ihm aus der Bar ein Aschenbecher geholt, während er weiterspielt, die Kippe in der linken, den Stick in der rechten Hand.
Mit seiner Konzertkippe bricht Mayer eigentlich die Branchenregeln. „Zuerst“, erinnert sich Christiane Böhnke-Geisse, zuständig fürs Booking, „haben uns die Musiker um ein Rauchverbot gebeten – vor allem die aus den Staaten.“
Anfangs war es nur eine Bitte, auf den Tischen standen Aschenbecher, die während der Konzerte nicht benutzt werden sollten. „Das hat nicht funktioniert, also haben wir es konsequent verboten.“ Umsatzeinbußen wegen stillos klarer Luft habe es keine gegeben, meint Böhnke-Geisse, die sich gemeinsam mit dem Bassisten Heiri Känzig nach dem Konzert eine Zigarette ansteckt. „80 Prozent der Gäste finden unser Verbot gut. Es kommen sogar Leute, die wegen des Rauchs sonst zu Hause bleiben würden.“ Känzig, mit Kippe in der Hand, sagt: „Ich steh auf Rauchverbot, es spielt sich angenehmer.“ Die Wiederkehr der Nichtraucher ins gesellschaftliche Leben gibt es in München auch anderswo. Übermorgen startet die erste monatliche Clubnacht im angesagten Ampere-Club. Macher Fritz „Freez“ Voggenreiter veranstaltet bisher Hiphop-Events und ist „kein militanter Nichtraucher“. Aber er sieht viele Vorteile im „Clear Club“-Konzept: „Keine Brandlöcher in den Klamotten, keine stinkenden Klamotten mehr – vor allem keine Kopfschmerzen am nächsten Tag.“ Und weil vor allem ältere Clubgänger und Frauen auf die Zigarette verzichten, erwartet der 29-Jährige eine gediegene Party „ohne Kindergarten und mit hohem Frauenanteil“.
Im Gästebuch der begleitenden Website jedenfalls freuen sich nicht rauchende Clubgänger schon auf „ihren“ neuen monatlichen Clubabend, bei dem Bastardpop und Funk aufgelegt werden: „Meine Lungenbläschen sagen danke“, schreibt Linda. Und Benny Bianco notiert: „Killer! Ich als 8-Wochen-Nichtraucher schau doch mal voll vorbei!“
Gerade wer abends unterwegs ist, meint ja, dass fast die gesamte eigene Altersgruppe qualmt. Doch der Eindruck täuscht. Zwar ist der Raucheranteil bei jungen Leuten zwischen 20 und 35 am höchsten, aber selbst in dieser Altersgruppe rauchen in Bayern weniger als die Hälfte, von den Frauen greift gar nur jede Dritte zur Zigarette.
In der Gesamtschau sind die Zahlen noch eindeutiger: Nur jeder vierte Bayer über 15 Jahren raucht – 31 Prozent der Männer und 20 Prozent der Frauen. Damit ist Bayern, gemeinsam mit Sachsen, Schlusslicht bei den Raucherzahlen, angeführt wird die Rangfolge von Berlin, dort greifen 34 Prozent mindestens gelegentlich zur Kippe. „Viele in meinem Bekanntenkreis haben Krebs“, meint Freez, „vor allem viele Alt-68er.“
Doch es ist auch schlicht der marktwirtschaftliche Gedanke: „Schau dir die Zahlen an, da ist sicher eine Zielgruppe, die ausgehen will, ohne zugequalmt zu werden.“
Nicht nur Clubs und Jazzkeller, auch die Münchner Gastro-Szene bewegt sich in Richtung rauchfrei. Einige Dutzend rauchfreie, zumindest Nichtraucher-freundliche Lokale hat die Bürgerinitiative „Bel Air“ mittlerweile aufgelistet. Gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung und der AOK als Kooperationspartner hatte die Gruppe um die Wirtschaftsingenieurin Inci Sieber vor zwei Jahren 1.800 Münchner Lokale angeschrieben. Die Idee: Klare Luft für Gäste und Bedienpersonal – im Gegenzug Öffentlichkeitsarbeit und Werbung frei Haus. „Die Teilnehmerzahlen sind noch recht müde“, räumt Sieber ein, „aber jeder Nichtrauchertisch ist für uns ein Gewinn.“
Der Unionsbräu von Wiggerl Hagn ist so ein Lokal, wo Nichtrauchertische stehen. Der Wirt, der auch ein Zelt auf dem Oktoberfest betreibt und bis Mitte des Jahres Vorsitzender des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes war, hat seine bayerische, holzvertäfelte Gaststube ganz pragmatisch in zwei Teile getrennt: Die Tische am Fenster sind für Nichtraucher, die anderen für Raucher. So ganz funktioniert das aber noch nicht. Auf manchen Tischen stehen einträchtig nebeneinander Aschenbecher und kleine Würfel mit Nichtrauchersymbol samt gutgelauntem Toleranztext: „Sie haben die Wahl“, ist da zu lesen, auch das Wort „miteinander“.
In der Tat scheint das Miteinander zumindest an diesem Abend zu funktionieren. An einem Fenstertisch sind noch drei aus einer Männerrunde verblieben, alles Nicht- oder Exraucher. Aber es war auch „kein großes Thema“, dass ihr vierter Trinkkumpan zuvor geraucht hat. Anfangs sei er noch rausgegangen, erzählen sie, irgendwann habe er sich halt einen Aschenbecher rübergestellt. Der Ober hat es hingenommen.
„Die Bedienungen haben Angst, weniger Trinkgeld zu bekommen“, erklärt Sieber dieses Verhalten. „Und die Wirte haben Angst, Kunden zu verlieren, wenn sie durchgreifen.“ Bel Air kontrolliert zwar regelmäßig die Plaketteninhaber – auch den Unionsbräu –, aber Sieber gibt zu, dass die Initiative auf Freiwilligkeit basiert: „Richtig funktioniert das nur mit ordentlichen Gesetzen.“ Trotz allem gebe es in München inzwischen Orte, wo man „ohne Belästigungen und Giftqualm“ essen und trinken könne. Woran das liege? „An den Kooperationspartnern und sicher auch an unserer Schirmherrin, der Frau von Oberbürgermeister Christian Ude.“
Auch Hiphoper Freez hält das politische Klima in der rot-grün regierten Stadt für ausschlaggebend: „Die Münchner leben schon sehr bewusst, das ist eine grüne Stadt.“