Essen in New York etc.: Einen Volkswagen mit Senf, bitte!
■ Wie ein Hoyerswerdaer in New York mit Würstchen sein Glück machte
Mittagszeit in New York. An der Ecke 5th Avenue und 54th Street, nicht weit vom Central Park entfernt, bildet sich eine lange Schlange. Aber diese Menschen wollen nicht zum Museum of Modern Art oder Saint Patrick's Cathedral, beide nur ein kurzer Sprung von hier. Es sind Geschäftsleute aus der Gegend, die zusammen mit einigen proletarischen Kollegen etwas Besonderes von einem Deutschen aus Hoyerswerda kaufen wollen und dafür bis zu einer Viertelstunde oder mehr warten: „A Volkswagen, please“, sagt einer, „gimme a Mercedes“, ein anderer.
Nein, hier werden keine deutschen Autos auf dem Schwarzmarkt verkauft, sondern – Wurstspezialitäten. An diesem Stand ist ein Trabant (Bockwurst aus Rindfleisch) teurer als ein Volkswagen (Wiener aus Kalb-, Puten-, Rind- und Schweinefleisch). Am teuersten ist natürlich der Porsche (Berliner Currywurst vom Rind).
Herzlich willkommen bei „Hallo Berlin, The Wurst Stand“!
Im Oktober 1995 zeichnete ihn die New York Times als best street food in New York aus. Seitdem ist die Kundschaft nicht viel größer geworden (der Stand war in der Nachbarschaft immer bekannt und beliebt), wohl aber der Ruhm des Inhabers, Rolf Babiel. Babiel war 1975 legal aus der DDR ausgereist.
Er war, wie er sagt, „ein bißchen rebellisch“ und hatte stur auf seinem Ausreiseantrag beharrt. Nach fünf Jahren als Lkw- Fahrer in West-Berlin zog er schließlich 1980 nach New York („wegen dem Wetter“) und fand sein Glück – mit deutscher Wurst.
„Die Idee kam einfach gut an“, sagt er, während sich der Araber vom Stand nebenan Salz und Pfeffer ausleiht. Das Geschäft läuft so gut, daß Babiel auf der Westseite Manhattans ein Restaurant mit Biergarten eröffnen konnte: „The Wurst Restaurant“. Tagsüber arbeiten dort seine Frau und ein Neffe. Babiel kümmert sich um den Wurststand, und abends hilft er noch im Restaurant aus. Daß er einen Arbeitstag von über 14 Stunden hat, scheint ihm nichts auszumachen.
Die Leute, die bei „Hallo Berlin“ ihr Mittagessen kaufen und mit Rolf Babiel plaudern, bekommen ein echtes Produkt, auch wenn das eigentlich niemanden interessiert: Die Wurst bezieht Babiel von einem deutschen Fleischer in Queens, die Brötchen kommen aus einer französischen Bäckerei im gleichen Stadtteil, und Sauerkraut und saure Gurken werden direkt aus Deutschland importiert.
„Die Qualität ist so gut“, scherzt er mit einem Kunden, „daß sogar McDonald's versucht, meine Rezepte zu stehlen.“
Babiel hat sich mittlerweile in Amerika eingelebt. Er ist mit einer Haitianerin verheiratet, und die beiden haben einen Sohn, der eventuell Präsident der Vereinigten Staaten werden will. Babiel ist zwar nicht sicher, ob dies jemals passieren wird, meint aber, daß man an das Unmögliche glauben müsse, um das Mögliche zu erreichen.
Trotz solch amerikanischer Einstellung ist Rolf Babiel deutscher Staatsbürger geblieben. Er habe mit seiner permanenten Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis alles, was er in den USA brauche, erklärt er. Zurück nach Deutschland will er nicht. Wer zufällig in New York ist, sollte auf jeden Fall an der Ecke 5th Avenue und 54th Street vorbeischauen. Um zwölf. Barry Rich
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