Eine „rechte taz“?

Mit aggressivem Antiliberalismus avancierte die monatlich erscheinende 'Junge Freiheit‘ zum Shooting-Star der rechtsextremen Postillen. Das Bundesinnenministerium sieht keinen Handlungsbedarf.  ■ VON BERND SIEGLER

Daß sich der Konservatismus ursprünglich gerade nicht um Parteien gruppierte, sondern um Zeitschriften, Zirkel und couragierte Persönlichkeiten, wird gerne vergessen. Inzwischen scheint diese Erkenntnis sich wieder durchzusetzen.“ Dieter Stein, ganze 25 Jahre alt und schon Chefredakteur der sich selbst als „konservatives Medium“ darstellenden Zeitschrift 'Junge Freiheit‘, will mit seinem Blatt einen Beitrag zur Durchsetzung dieser Erkenntnis leisten. Die 'Junge Freiheit‘ soll Teil eines „politischen, kulturellen und publizistischen Kapillarsystems“ sein, durch das „konservative Vorstellungen in breitere Schichten sickern können“. Ein „moderner Nationalkonservatismus“, verbunden mit einem aggressiven Antiliberalismus solle — so Stein — Berührungsängste zwischen Konservativen, Nationalen und Nationalrevolutionären abbauen. Bislang mit Erfolg: von der Startauflage im Mai 1986 mit 400 Stück hat sich die „Junge Freiheit“ mit derzeit monatlich 35.000 Auflage zum Shooting-Star der rechtsintellektuellen Postillen gemausert. Es ist die einzige rechte Publikation, die an jedem größeren Bahnhofskiosk zu kaufen ist. Interessant auch, daß 14% der Leser auch einen Blick in die taz werfen, um zu wissen, wie „links“ denkt.

Liebäugeln mit der „Neuen Rechten“ Frankreichs

Die Macher der 'Jungen Freiheit‘, die von dem in Ulm als gemeinnützig anerkannten Verein „Unitas Germanica“ herausgegeben wird, hegen bereits den Traum einer wöchentlich erscheinenden „rechten taz“. Sie freuen sich, trotz rechtsextremer Ideologie, Redaktion und Autorenschaft nicht Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes zu sein. Einschlägig bekannte Personen bestimmen die junge Redaktionsmannschaft (Durchschnittsalter 28 Jahre): Peter Boßdorf, stellvertretender Chef des stramm rechten „Gesamtdeutschen Studentenverbandes“; Stefan Ulbrich, Neuheide und Ex- Wiking-Jugend-Kämpfer; Gerhard Quast, Chefredakteur der nationalrevolutionären Zeitschrift „wir selbst“; Michael Krämer, ehemaliger FAP-Funktionär; Boris Rupp, ehemaliges Rep-Bundesvorstandsmitglied; Carsten Pagel, ehemaliger Berliner Rep-Chef und Sven-Thomas Frank, amtierender Berliner Rep-Funktionär.

Vehement verwahrt sich die 'Junge Freiheit‘ ('JF‘) jedoch gegen den Vorwurf des Rechtsextremismus. Gern führt man dazu die Bundesregierung als Kronzeugen heran, die in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der PDS keinerlei Grund gesehen hatte, die 'JF‘ als verfassungsfeindliche Bestrebung unter die Lupe zu nehmen. Dabei ist es dem Bonner Innenministerium selbstverständlich nicht entgangen, „daß in der 'JF‘ auch Texte von Autoren zur Veröffentlichung gelangten, die bereits im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Tendenzen hervorgetreten sind“.

Einträchtig neben Unionsparlamentariern wie z. B. Helmut Koschyk, Hanna-Renate Laurien oder Innenstaatssekretär Eduard Lintner kommen dort FPÖ-Chef Jörg Haider, die deutschnationale Professorenriege um Helmut Diwald, Robert Hepp, Wolfgang Seiffert und Klaus Hornung sowie NPD-Chef Günther Deckert, der Auschwitz-Leugner David Irving, der Chef der rechtsextremen „Deutschen Liga“ Harald Neubauer und der baden-württembergische Rep-Chef Rolf Schlierer oder der Berliner Rep-Landesvorsitzende Hans-Werner Müller zu Wort.

Trotzdem will man im Bonner Innenministerium keinesfalls von einer „gemeinsamen Publikationstätigkeit seitens Extremisten und Demokraten“ reden. Die inhaltliche Ausgestaltung ebenso wie die Auswahl der Autoren unterliege „als Ausfluß der Pressefreiheit der alleinigen Verantwortlichkeit des jeweiligen Presseorgans“, lautet die lapidare Antwort. Die 'JF‘-Redakteure bezeichnen sich zwar selbst als Konservative. „Konservativ“ hat für sie aber nichts mit den Unionsparteien zu tun. Diese hätten, so Chefredakteur Stein, der seine Karriere bei der „Republikaner“-Abspaltung „Freiheitliche Volkspartei“ begann, mit dem Fall der Mauer „die historische Chance zum Kurswechsel“ hin zu einer „moralisch-kulturellen Erneuerung“ des deutschen Volkes vertan.

Roland Bubik, 22jähriger Chefideologe der Zeitung und nach eigenen Angaben Mitglied des Kreisvorstandes der Ravensburger „Jungen Union“, bezeichnet seine Mutterpartei gar als „liberal-bürgerlich“ (1/92). Da aber Konservatismus und Liberalismus Gegensätze seien, plädiert er für „den ungebundenen Neuanfang“ (1/92). So ungebunden ist der jedoch nicht. Ideologisch liebäugelt die 'Junge Freiheit‘ mit der sogenannten „Neuen Rechten“, die es in Frankreich geschafft hat, Le Pens „Front National“ inhaltlich zu prägen, und deren Gedankengut ansatzweise Eingang gefunden hat in die Programmatik der „Republikaner“ und der „NPD“.

So beklagt 'JF‘-Redaktionsmitglied Markus Zehme im April 1990, daß die „durchliberalisierte deutsche Rechtsintelligenz“ die von der Neuen Rechten „diskutierten wegweisenden Ansätze einer neuen Gesellschaftspolitik“ ignorierte.

Vertretern der Neuen Rechten wie zum Beispiel dem Chefideologen der französischen „Nouvelle Droite“, Alain de Benoist, steht die 'Junge Freiheit' als Plattform für eine Ideologie zur Verfügung, in deren Mittelpunkt „die europäische Zivilisation der Weißen“ steht. Ihr biologistisches Weltbild geht davon aus, daß die in der genetischen Vielfalt wurzelnde Ungleichheit nicht aufhebbar sei. Größter Feind dieser Zivilisation sind demnach gleichmacherische Ideologien wie Liberalismus und Kommunismus. So fordert die Neue Rechte einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus und plädiert für den sogenannten Ethnopluralismus. Statt „Ausländer raus“ fordert man heute ein striktes Nebeneinander der Völker, um deren Verschiedenheit zu bewahren.

Renaissance der Schriften Carl Schmitts

Auch die 'JF‘-Autoren, die sich selbst rühmen, „unbequeme Fragen“ zu stellen, wollen Schluß machen mit dem „ausufernden Materialismus“ und der multikulturellen Gesellschaft. Sie fragen sich, ob „Ausländerkriminalität mentalitätsbedingt“ sei, und machen sich Sorgen, wie „wir unsere nationale Identität in einer solchen Mischgesellschaft bewahren“ könnten. Mit ihrem „nonkonformen, tabulosen Journalismus“ will die 'JF‘-Redaktion ideologisch an die elitären Zirkel der „Konservativen Revolution“ in der Weimarer Republik anknüpfen und nimmt Anleihen aus den Werken insbesondere von Carl Schmitt, Ernst Jünger, Ernst Niekesch und Oswald Spengler. Konsequent wirbt denn auch die Zeitschrift mit dem Slogan „Eine konservative Revolution“.

Der Staatsrechtler Carl Schmitt und die Gruppe der „Konservativen Revolution“, die sich in der Weimarer Zeit aus Jungkonservativen, Nationalrevolutionären und Völkischen zusammensetzte, gelten als ideologische Wegbereiter des Nationalsozialismus. Insbesondere Carl Schmitt, der von Anfang an die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik bekämpfte und für einen autoritären, Eliten-geführten Staat eintrat, steht bei den Neuen Rechten und den 'JF‘-Autoren hoch im Kurs. Immer wieder wird Bezug genommen auf das NSDAP-Mitglied, das von Hermann Göring protegiert wurde und als einflußreicher Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung (ab 1934) die Nürnberger Rassengesetze feierte. Endlich sei der Staat „ein Mittel der völkischen Kraft und Einheit“.

Die Renaissance von Schmitt, 1985 gestorben, ist derzeit im In- und Ausland zu spüren. Seine Schriften werden in Italien und Frankreich neu aufgelegt und diskutiert. Der stellvertretende Rep-Chef und einstige RCDS-Kämpfer, der 37jährige Rolf Schlierer aus Stuttgart, brüstet sich beispielsweise damit, daß er Schmitts Werke noch aus dem Giftschrank des juristischen Seminars habe holen müssen. Seine von Schmitt inspirierten Ergüsse publiziert Schlierer, der sich in der Öffentlichkeit betont moderat gibt, in der österreichischen deutsch-nationalen Zeitung 'Aula‘. Dort trifft er sich mit dem 'JF‘-Redakteur Jürgen Hatzenbichler, der mittlerweile der FPÖ nahesteht und zuvor stellvertretender Chef der Kärntner Neonazi-Gruppe „Nationale Front“ gewesen war.

Dementsprechend hat auch die 'JF‘ als Hauptfeind der Menschheit den „Liberalismus“ und seinen „falschen Freiheitsbegriff“ ausgemacht. Für Roland Bubik, der damit prahlt, daß „so mancher Stipendiat der Konrad-Adenauer-Stiftung bei der 'JF‘ die Feder schwingt“, ist das eine Frage des Menschenbilds. „Der Mensch ist von Natur aus nicht frei“, schreibt er im Oktober 1991. Wahrer Konservatismus sei es, „die gesellschaftliche Regelung der Freiheit unter der Berücksichtigung menschlicher Ungleichheit“ zu bedenken.

„Freiheit durch Ordnung“ heißt Bubiks Losung. Dementsprechend macht die 'JF‘ auch die „liberale Demokratie“, die ihre Bürger „alltäglich zu einem hedonistischen Leben“ erziehe, für den steigenden Drogenkonsum verantwortlich. Nur der „politische Konservatismus“, wie ihn Bubik versteht, vermöge, „die Krise der Moderne von ihren Wurzeln her zu begreifen“ (4/92). Statt aufklärerischer Gesellschaftstheorie empfiehlt er, den Menschen „Nation, Familie und Ordnungsgedanken“ wieder nahezubringen.

Da applaudiert auch Mechtersheimer

Im Sinne des Antiliberalismus und des „dritten Weges“ kämpft die 'JF‘ gegen die Stationierung fremder Truppen in Deutschland und für die Souveränität Deutschlands. Wie auch die Reps fordert 'JF‘-Autor Wolfgang Venohr „eine neue Statur Europas“, ein „Europa der Vaterländer“ und plädiert für einen Befreiungsnationalismus der Völker. Venohr hofft, daß dann „das deutsche Volk endlich nach einem halben Jahrhundert das Kollektivschuld- Ghetto verlassen“ könne (4/92). Zur „seelischen Befreiung“ Deutschlands sollen auch die Seiten unter der Rubrik „Zeitgeschichte“ in der 'JF‘ beitragen.

Verantwortlich dafür zeichnet Alfred Schickel, Chef der „Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle in Ingolstadt“ und Spezialist in Sachen Geschichtsrevision. Auf diesen Seiten wird dann nicht nur die Auschwitz-Lüge weitergestrickt. Ex-Nato- General Franz Uhle-Wettler, von Franz Schönhuber in die Rep-Programmkommission berufen, darf hier auch den Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion als Akt der Notwehr hinstellen.

Bei ihrem Kampf gegen den Liberalismus und für eine erneute „Konservative Revolution“ bekommt die 'JF‘ vielfältige Schützenhilfe. Günter Rohrmoser, Chefdenker des rechten Thinktanks „Studienzentrum Weikersheim“, in dessen Kuratorium auch Rolf Schlierer bis 1989 saß, prophezeit, daß sich der „Liberalismus nicht mehr allzu lange behaupten“ werde (7/91). Rep-Chef Schönhuber plädiert ebenfalls für den „dritten Weg“ jenseits von Kommunismus und Kapitalismus bzw. Liberalismus und schimpft gegen die „Wodka-Cola-Kultur“. Unter den Gratulanten für das fünfjährige Zeitungsjubiläum befanden sich im Sommer 1991 nicht nur Adenauer- Preisträger Armin Mohler oder der Berliner CDU-Rechtsaußen Heinrich Lummer. Auch Alfred Mechtersheimer, Ex-MdB der Grünen, stimmte in die Lobeshymne mit ein. Die 'JF‘ habe „einen Beitrag zur Befreiung vom ,Nationalkomplex‘ der Deutschen geleistet“.

Mit ihrer gemischten Autorenschaft ist die 'Junge Freiheit‘ ein Musterbeispiel dafür, wie reputierte, prominente konservative Autoren einer Zeitschrift die Chance eröffnen, das Ghetto des Rechtsextremismus zu verlassen und neue Lesergruppen zu erreichen. Laut 'JF‘- Chef Stein geht es der Zeitschrift auch erst einmal darum, als „vorzeigbare seriöse nationalkonservative Zeitung Felder im vorpolitischen Raum zu besetzen“. Neben dieser ideologischen Feinarbeit „im vorpolitischen Raum“ unternahm die 'JF‘ unter dem Signet ihres Fördervereins auch praktische Aktivitäten, um den anvisierten Brückenschlag zwischen Konservativen und Rechtsextremisten zu festigen. Anläßlich der Unterzeichnung des deutsch-polnischen Vertrages im Sommer 1991 charterte der Verein zwei Sportflugzeuge, die mit Spruchbändern mit den Worten „Verzicht ist Verrat“ und dem Vertriebenen-Motto „Schlesien bleibt unser“ über dem Regierungsviertel kreisten. Jetzt fordert der Verein in Anzeigen „Freiheit für Königsberg“.

Ihre Anwesenheit auf der diesjährigen Leipziger Buchmesse nutzte die 'JF‘ für einen „non-konformen Treff“ am 8.Mai mit Vertretern der rechtsextremen Zeitschriften „Wir selbst“ und „Zeitenwende“ sowie dem regionalistischen „Sachsenbund“.

Sehnsucht nach der „rechten Graswurzelrevolution“

Nachdem die gesamte deutsche Rechte jenseits der Union nach der deutschen Vereinigung in eine tiefe Krise gestürzt ist und Helmut Kohl sich wählerwirksam als nationaler Retter verkaufen konnte, wittern die 'JF‘-Strategen mit Beginn des Jahres 1992 wieder Morgenluft. Sie sehen „erste Zeichen einer Rekonstruktion der intellektuellen Zirkel auf rechter oder konservativer Seite“. Es werde dort angeknüpft, wo sich „knapp fünf Jahre zuvor alles im republikanischen Pulverdampf auflöste“, diesmal aber mit „wesentlich mehr Dynamik“. Vorerst sind zwar die Versuche, mit eigenen Ausgaben in München, Erlangen und Leipzig direkt an den Hochschulen Fuß zu fassen, gescheitert, doch Dieter Stein sieht bereits eine „rechte Graswurzelrevolution“ kommen angesichts der „sehr erfreulichen neuen Aktivitäten im nationalkonservativen, vorpolitischen Raum“.

Die Kleinanzeigenspalten füllen sich nicht nur mit Inseraten von Partneragenturen für „nationale Mädel und Burschen“, sondern auch mit Terminen von „Leserkreisen“ in München, Stuttgart, Gießen, Dortmund, die 'JF‘ und Criticon lesen.

Auch hier die ökologische Frage, „Ökodiktatur“

Mit einer „konservativen“ Besetzung des Ökologiethemas versucht die 'JF‘ weiter Terrain zu gewinnen und konservative Politik zu beeinflussen. Begeistert zeigt sie sich von Bayerns Umweltminister Peter Gauweiler, als dieser die Frage der Einwanderung als ökologisches Problem, als Problem des Flächenverbrauchs bezeichnet hatte. Einen Ausblick auf neu-rechte Utopien liefert schließlich Wolfgang Venohr in der jüngsten Ausgabe der 'JF‘. Unter der Überschrift „Der Ökostaat kommt bestimmt“ versucht er, eine „Ökodiktatur“ zu rechtfertigen. „Starke Staaten“ seien demnach gefragt, die für ihre jeweilige Region „supranationale Öko-Diktaturen“ errichten müßten.

„In Osteuropa muß das Rußland sein, in Mitteleuropa Deutschland, in Westeuropa Frankreich und Großbritannien.“ Deutschem Großmachtdenken stünde dann nichts mehr im Weg: „Wenn Berlin beispielswiese diese oder jene Umwelt- Anordnung erläßt, dann haben nicht nur die Deutschen, sondern ebenso die Polen, Ungarn, Tschechen, Österreicher, Schweizer und Slowaken Folge zu leisten.“

Um in dieser neuen Zeit zu bestehen, müßten sich „insbesondere die Deutschen an ein großes Vorbild erinnern, an eine öffentliche Haltung, in der Disziplin, Dienen und Einordnung mit Toleranz, Bescheidenheit und Sittlichkeit verschmolzen waren“: die „preußische Facon“.