: Eine neue Welt schaffen
Jesco Freiherr von Puttkamer, Professor Dr., Programm–Manager bei der NASA, ist ein Mann wie er als Vorbild der aufstrebenden Studentenelite nicht besser sein könnte: maßgeschneidert, weißhaarig und braungebrannt, sportlich und humanistisch gebildet, Philosoph und Ingenieur, alter deutscher Adel mit amerikanisierten Lebensprinzipien von Leistung und Erfolg. Puttkamer erteilte den etwa 200 vorwiegend studentischen Teilnehmern des Workshops „Weltraumengagement - Aussichten für die Menschheit“ eine Lektion, die sie so bald nicht vergessen werden. Im Gegensatz zu den meisten anderen Rednern auf dem Kongreß, machte er sich nicht erst die Mühe, die Raumfahrt mit ökonomischen Argumenten zu begründen. „Die Weltraumfahrt läßt sich nicht aus Profitdenken rechtfertigen“, auch die Amerikaner hätten das in den 70er Jahren einsehen müssen. Es gehe um „Höheres“, um die „Humanisierung des Weltalls“. Die Raumfahrt sei eine kulturelle und emotionale Angelegenheit, letztlich eine Frage der inneren Einstellung. Damit aus der über den Menschen schwebenden Möglichkeit ein „Du mußt!“ wird, errichtete Puttkamer aus fortschrittsgläubigen, ökologischen, humanistischen und religiösen Argumenten ein ideologisches Stützkorsett, das jeden Zweifel abschnürte: - Raumfahrt, weil es ein Verbrechen an den nachfolgenden Generationen wäre, nicht alle Optionen für technische Weiterentwicklungen offenzuhalten, - Raumfahrt, weil die ökologischen Kreisläufe nicht auf der Erde zu Ende sind und ein moderner Ökologie–Begriff den Weltraum mit einbeziehen muß. Viele Probleme auf der Erde, Hunger, Umweltschäden usw. verlangten deshalb nach einer Lösung aus dem Weltraum, - Raumfahrt, weil „wir Teil eines viel größeren Daseins“ sind. Gleichen schwebende Astronauten nicht biblischen Engeln, ist der Aufbruch ins Universum nicht ein Schritt in Richtung auf das Paradies, fragt Puttkamer. Wers nicht glauben will und immer noch nach dem praktischen Nutzen fragt, dem fehlt die Dynamik, die den Menschen erst für den Schritt ins nächste Jahrtausend befähigen wird. Puttkamer entwirft denn auch gleich das Menschenbild, das ins Raumzeitalter paßt: Mit dem stetigen Wandel leben können sollte er, ein Leben lang lernen wollen und Fehler nicht als Versagen begreifen, sondern aus ihnen lernen, z.B. aus der Challengerkatastrophe. Diese Qualitätskriterien leuchten allen Anwesenden ein, und so sind sie auch bereit, dem nächsten Schritt zu folgen: Für Menschen nämlich, die auf diese Weise lern– und anpassungsfähig sind, verwandeln sich auch die großen Angstmacher– Themen unserer Zeit in Chancen, einzugreifen und mitzugestalten, z.B. die Genmanipulation, die Beherrschung der kollektiven Selbstvernichtung, die Ausnutzung des weltweiten Kommunikationsnetzes und eben: die Fesseln dieses Planeten abstreifen zu können. Selbstverständlich müssen solche gigantischen Möglichkeiten, „eine neue Welt zu schaffen“ (Puttkamer) in einer neuen universellen Ethik eingebettet sein, die gekennzeichnet ist durch eine ganzheitlich orientierte Denkweise, durch Integrationsstreben und Einmütigkeit. Der Weg in den Kosmos, welche Opfer er auch kosten mag, ist also als „evolutionärer Prozeß“ vorgezeichnet, will Puttkamer glauben machen. Nebenbei ist es aber auch ganz praktisch so, denn „das All bietet größere Möglichkeiten und Freiheiten zur Entfaltung einer wachstumsgerecht humanisierten Welt, als die natürliche Umwelt der Erde“. Puttkamer liefert gleich die Interpretation mit: Während die Verhältnisse auf der Erde z.T. irreparabel verfahren sind, haben wir im Weltall die Chance, noch mal ganz neu anzufangen.
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