: Eine neue Wahlfarce in Weißrussland
Am kommenden Sonntag lässt Staatspräsident Alexander Lukaschenko das Volk zweimal abstimmen: Über handverlesene Kandidaten für das Parlament und eine nochmalige Verlängerung seiner Amtszeit. Das gewünschte Ergebnis ist schon bestellt
VON BARBARA OERTEL
Die Weißrussen haben am kommenden Sonntag gleich zweimal die Wahl – theoretisch zumindest. So bestimmen sie die 110 Mitglieder für die präsidentenhörige Abgeordnetenkammer und dürfen in einem Verfassungsreferendum ihre Meinung darüber kundtun, ob Staatschef Alexander Lukaschenko mit Ablauf seines Mandats 2006 fünf weitere Jahre im Amt bleiben darf und die lästige Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten generell aufgehoben wird.
Erst in der vergangenen Woche machte Weißrusslands autokratischer Staatslenker deutlich, wie er sich den Ausgang der beiden Abstimmungen vorstellt. So solle die Staatsmacht nicht nur den Volksentscheid überzeugend gewinnen, sondern auch alle 110 Mandate, und das gleich im ersten Wahlgang. „Wir müssen zeigen, wer Herr im Hause ist. Wir sollten nichts unversucht lassen, um die innere und äußere Opposition zu zerquetschen. Wir verfügen über genug Stärke und Techniken, um die Wahlen und das Referendum mit überwältigender Mehrheit zu gewinnen“, sagte Lukaschenko.
Diese Techniken à la Lukaschenko, der seit 1994 an der Macht ist, kommen im Wahlkampf seit mehreren Wochen zum Einsatz. Deshalb bezweifelt auch niemand, dass Lukaschenko sein Wunschergebnis bekommen wird. So wurden – wie 2000 – bei der Registrierung der Kandidaten durch die Zentrale Wahlkommission die meisten missliebigen Bewerber ausgesiebt.
Unter anderem erwischte es den Lukaschenko-kritischen Abgeordneten Uladzimir Parfinowitsch, der sich mit zwei Kollegen im vergangenen Juni erdreistet hatte, mit einem Hungerstreik eine Änderung des Wahlgesetzes erzwingen zu wollen. Die Begründungen für eine Ablehnung waren so absurd wie durchsichtig: entweder hatten die Kandidaten ihre Einkommens- und Vermögenserklärungen mangelhaft ausgefüllt oder die zur Registrierung nötigen Unterstützerunterschriften fälschen lassen.
Auch auf der Ebene der lokalen Wahlkommissionen läuft alles nach Plan. Die sind fast ausnahmslos mit regierungstreuen Vasallen besetzt, was den Chef der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei, Anatoli Lebedko, veranlasste, von „Fälschungskommissionen“ zu sprechen. Aus gutem Grund: Am Wahltag verhinderte Wähler können ihre Stimme bereits seit vergangenem Dienstag abgeben, was Manipulationen Tür und Tor öffnet.
Doch nicht nur die Wahlkommissionen walten ihres Amtes. So wurden aus der Fernsehwahlwerbung oppositioneller Politiker, die zu einem Nein beim Referendum aufgerufen hatten, die entsprechenden Passagen herausgeschnitten oder die Spots überhaupt nicht gesendet. Ordnungskräfte der Miliz nahmen „die Feinde Lukaschenkos“ in Gewahrsam oder drangen in deren Büros ein und konfiszierten Wahlwerbung. Unterstützer der ungeliebten Kandidaten wurden bedroht und verloren in einigen Fällen sogar ihren Arbeitsplatz.
Anders als die Wahlen birgt das Referendum, das zweite seiner Art nach 1996, für Lukaschenko jedoch ein gewisses Restrisiko. Denn hier braucht es mindestens ein Ja von 50 Prozent aller Wahlberechtigten, um vor allem den auf dem Land beliebten „Batka“ (Väterchen) für weitere fünf Jahre zu inthronisieren. Unlängst gab die Zentrale Wahlkommission die Zahl der Wahlberechtigten mit rund 6,5 Millionen an. Merkwürdig ist, dass bei den Kommunalwahlen im März 2003 noch 7,1 Millionen Wähler in den Registern firmierten.
Angesichts dieser Manipulationsversuche sieht der Politikexperte Waleri Karbalewitsch sein Land bereits auf dem Weg nach Zentralasien. Das Referendum werde die politische Konfrontation verschärfen; die Verantwortlichen würden zu noch härteren Repressionsmaßnahmen gegen ihre Gegner greifen.
Weniger analytisch denn humoristisch kommentiert derweil das Volk die bevorstehende Erfüllung seiner staatsbürgerlichen Pflichten: Lukaschenko schaltet eine Stellenanzeige. Die lautet: „Gesucht: Eine Person, die die vakante Präsidentschaft übernehmen kann. Berufserfahrung auf diesem Posten ist ein Muss“, so eine gängige Anekdote.
Ein wenig mehr Verständnis für den treuen Diener seines Volkes wäre angebracht, kämpft Lukaschenko derzeit doch nicht nur an der Heimatfront. Das Einreiseverbot für vier hochrangige weißrussische Vertreter wegen des ungeklärten Schicksals verschwundener Oppositioneller, das die EU im September verhängte, quittierte der Präsident wie folgt: er könne veranlassen, dass illegale Migranten mit nuklearen Waffen und Material auf ihrem Weg nach Europa nicht mehr in Weißrussland aufgehalten würden, sollte der Druck der EU auf Minsk nicht nachlassen. Dann setzte er noch eins drauf. Der Westen plane seine Liquidierung. „Damit sollten sie sofort anfangen“, sagte Lukaschenko. „Denn anders werden sie mich nicht brechen können.“