: Eine neue Kunst
Das Marcks Haus zeigt den Nachlass von Trude Jalowetz – der Muse von Gerhard Marcks
2006 ist ein gutes Jahr für das Gerhard Marcks Haus: Gerade erst sind die Plastiken des Bildhauers Waldemar Grzimek angekommen und jetzt das „Konvolut“, so nennt es Kurator Arie Hartog. Das Konvolut, das sind zwei Bronzeplastiken, 29 Zeichnungen und drei Lithographien von Gerhard Marcks und alle, wirklich alle, selbst die Landschaftszeichnungen, beziehen sich auf eine Frau: Trude Jalowetz.
1910 als Tochter des jüdischen Dirigenten Heinrich Jalowetz geboren, lernt sie 1931 Gerhard Marcks kennen, damals Direktor der Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle, an der sie Weberei studiert. Es gibt einen Brief, der wohl den Beginn der Freundschaft zwischen Trude Jalowetz und Marcks markiert: „Gestern am nach Hauseweg habe ich laut gejuchzt. Und warum? Weil ich von Prof. Marcks eine Zeichnung bekommen habe.“
Im September porträtiert Marcks sie zum ersten Mal. In den nächsten beiden Jahren ist sie sein einziges weibliches Modell. Die Zeichnungen, die er als Vorstudien zu den Plastiken anfertigt, sind sehr unterschiedlich: einige nur dahingeworfen in groben Umrissen, andere viel genauer und sorgfältiger. Aber wenn man das Foto von ihr sieht, das lange schmale Gesicht, das so gar nichts Gefälliges hat, versteht man, dass es für Marcks zum „Ausgangspunkt einer neuen plastischen Auffassung“ wurde, wie Arie Hartog sagt. Die an einer Innerlichkeit interessiert ist, die der offiziellen Kunstauffassung diametral entgegensteht. Als Marcks sich 1933 weigert, die direkt nach der nationalsozialistischen Machtergreifung geforderte Liste aller jüdischen Mitarbeiter und Studierenden anzufertigen, wird er entlassen. Trude Jalowetz legt noch in Berlin ihre Abschlussprüfung ab und emigriert im selben Jahr in die Niederlande.
1934 besucht Marcks die junge Frau, die in Voorschoten eine Arbeit als Weberin gefunden hat – die Zeichnungen, die in diesem Urlaub entstehen, finden sich nun ebenfalls im Marcks Haus. 1937 lernt sie den belgischen Fotografen Paul Guermonprez kennen, den sie im April 1939 heiratet. Fünf Jahre später wird Guermonprez als Widerstandskämpfer von den Deutschen hingerichtet. Nach dem Krieg verlässt Jalowetz Europa für immer und siedelt in die USA über, wo sie am Block Mountain College lehrt, einem Treffpunkt der Bauhaus-Künstler. Sie heiratet den deutschstämmigen Architekten John Elsesser, doch der Kontakt zu Marcks bricht nicht ab. 1963 besucht er sie mit seiner Frau und zeichnet sie ein letztes Mal. 1976 stirbt sie in San Francisco.
Als die Erben von John Elsesser ihren Nachlass in Europa zum Verkauf anbieten, bekommt das Marcks Haus einen Hinweis – und kann den Kaufpreis von 100.000 Euro, der deutlich unter dem Schätzwert liegt, mit Hilfe von Spendern innerhalb zweier Monate zusammentragen. Und hofft, eines Tages, auch die Briefe, die Trude Jalowetz nach ihrem Tod Marcks‘ Tochter zugedacht hat, einsehen zu können. grä
Die Ausstellung „Gerhard Marcks und Trude Jalowetz“ ist bis zum 5. Juni im Gerhard Marcks Haus zu sehen