"Eine kleine Revolution": Junge Türkinnen geben Paroli
Eine Befragung von Hauptschülern und -schülerinnen türkischer Herkunft ergab: Die Mädchen sind unabhängiger und selbstbewusster als ihre Brüder.
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Das Klischee des schüchternen und gehorsamen türkischen Mädchens hält einer Überprüfung in der Praxis nicht stand. Das ergab eine Befragung der Uni Würzburg unter 830 HauptschülerInnen türkischer Herkunft. "Zurückhaltende türkische Mädchen sind deutlich seltener anzutreffen als selbstbewusste und gut integrierte junge Türkinnen", so der Leiter der Studie, Heinz Reinders.
Besonders auffällig fanden die ForscherInnen, dass türkische Mädchen sehr viel deutlicher nach Unabhängigkeit streben als Jungen. 77 Prozent der Mädchen wollen sich in ihre Berufswahl nicht hineinreden lassen - gegenüber 62 Prozent der Jungen. 85 Prozent der Mädchen geben an, gegenüber den Eltern eine eigene Meinung zu vertreten, bei den Jungen sind es 76 Prozent. Drei Viertel der Mädchen wollen selbst entscheiden, ob sie an Familienfeiern teilnehmen, aber nur zwei Drittel der Jungen. "Da findet eine kleine Revolution statt", meint Reinders.
Allerdings schränkt der Bildungssoziologe ein, dass mit den Wünschen der Mädchen "natürlich noch nichts über die tatsächliche Unabhängigkeit gesagt ist". Doch sprächen die Konflikte in ihren Familien dafür, dass die jungen Frauen ihre Vorstellungen auch durchaus umsetzten.
Dass die türkischen Mädchen mehr Widerstand leisten als die Jungen, erklärt Reinders zum einen damit, dass Jungen ohnehin mehr Freiraum genießen - und deshalb weniger rebellieren müssen. Zum anderen aber seien Mädchen in ihrer Ablöseentwicklung generell schneller als die Jungen: "Das ist ähnlich wie bei Jugendlichen deutscher Herkunft", so Reinders.
Die Ergebnisse der Studie lassen insbesondere aufmerken, weil gerade türkischstämmige HauptschülerInnen in der Öffentlichkeit als besondere Problemfälle wahrgenommen werden - und etwa in Dokusoaps wie "Die Superlehrer" quasi berühmt werden. "Dabei vergisst man leicht, dass es sich um Einzelfälle handelt", kritisiert Reinders. Sie würden in den Medien besonders beachtet, weil sie zur Minderheit der MigrantInnen zählten. "Über problematische SchülerInnen aus katholischen Familien würde man keine Serie drehen", so der Wissenschaftler.
Beim Vergleich mit Jugendlichen deutscher Herkunft falle auf, dass diese mit der Ablösung schneller sind als die türkischstämmigen SchülerInnen. "Die Unterschiede verwischen sich aber wieder, wenn die Jugendlichen älter werden", so Reinders. Auch die Erziehungsstile der Eltern seien kulturell nicht so verschieden, meint Reinders: "Es gibt ein großes Spektrum an liberalen Erziehungsstilen bei den Türken - und es gibt autoritäre Eltern unter den Deutschen. Das Bild ist insgesamt bunter, als es in der Öffentlichkeit vermittelt wird".
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