: Eine Zensur findet doch statt
■ Heute sollen die neuen Anti–Terrorismus–Gesetze verabschiedet werden
Kurz vor Ende der Legislaturperiode wird die Regierungskoalition noch zwei Gesetzesergänzungen durchpeitschen. Mit den vorgesehenen §§ 129 a und 130 a StGB schafft sich der Repressionsapparat eine neue Gruppe von „Terroristen“, da selbst Sachbeschädigung an bestimmten Objekten zukünftig als terroristischer Akt verfolgt werden soll. Der § 130 a ist ein klassischer Zensurparagraph, mit dem mißliebige Publikationen fast willkürlich verboten und unter Strafe gestellt werden können. Obwohl sich bei einr Anhörung fast alle Sachverständigen gegen die Gesetzesänderung ausgesprochen haben, will die Kohl–Regierung ihre „Anti–Terrorismus–Gesetze“ auf Biegen und Brechen durchsetzen.
Wenn der Abgeordnete Fellner (CSU) vom neuen Paragraphen 130a erzählt gerät er fast ins Schwärmen. Fast nichts mehr gibt es, was mit dieser Gesetzesvorschrift, die die Anleitung zu Straftaten verbietet, nicht zu verfolgen sein soll: Interviews mit Strommastknackern, das Abdrucken von Listen mit Name und Anschrift der am WAA–Bau beteiligten Firmen, und, sowieso, all die Schriften, die Rezepte zum Bau von Sprengkörpern enthalten. Auch im Bundesinnenministerium sieht man der Verabschiedung des Paragraphen heute erwartungsvoll entgegen. Im Referat „Innere Sicherheit 1“ (IS 1) ist eine Sammlung mit 46 Schriften angelegt worden, die nach Meinung der Ministerialen durch den neuen Paragraphen 130a verboten werden könnten. In der letzten Sitzung des Rechtsausschusses wurde den nur am Rande interessierten Abgeordneten ausführlich aus einigen der Zeitungsartikel und Büchern zitiert. Hit der Sitzung war neben dem taz–Interview „Wenn der Strommast fällt“ auch ein Memoirenband von Dany Cohn–Bendit „Meine wilden Jahre“. Die komplette Liste kann leider nirgendwo angefordert werden. Was künftig öffentlich angeklagt und bestraft werden soll wird von der Pressestelle des Innenministeriums vorläufig noch strengstens geheimgehalten. Die Konturen des neuen alten Straftatbestandes zeichnen sich derzeit in Nürnberg ab. Dort, wo Bayern nicht ganz so tiefschwarz ist wie woanders, hat die Justiz sich die Anti–AKW–Bewegungszeitschrift „radi–aktiv“ ausgeguckt um einen Testlauf für den neuen § 130a zu unternehmen. Kontinuierlich wird die alle zwei Monate erscheinende Zeitschrift beschlagnahmt. Der Hauptanklagepunkt ist immer derselbe: „Aufforderung zu strafbaren Handlungen“ (§ 11 Strafgesetzbuch). Ergänzt wird er mal durch „Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole“, mal durch „Aufforderung zur Verletzung des Dienstgeheimnisses“ oder „Anstiftung zur Brandstiftung“. Bemerkenswert an der jetzt für die Verhandlung am 19. Januar 1987 zugestellten Anklageschrift gegen die Verantwortlichen für die „radi–aktiv 7“ ist, daß keine einzige Stelle angegeben wird, die für sich genommen eine „öffentliche Aufforderung zu Straftaten“ darstellt. Argumentiert wird vielmehr damit, daß eine Kombination verschiedener Texte ( Aufzählung der am WAA–Bau beteiligten Firmen, Übersicht über bisher erfogte Anschläge, Anti– AKW–Symbol mit Säge) diese Aufforderung darstellt. Dieses Konstrukt, in der nicht die Äußerung an sich, sondern der „Gesamtzusammenhang“ für die strafrechtliche Relevanz entscheidend sein soll, ist das Kennzeichen für den 130a. Für die Anwendung dieses Paragraphen gilt auch ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das vor der Abschaffung 1981 gefällt wurde: „Bei der Beurteilung des Inhalts der Schrift sind daher auch solche Gedanken zu berücksichtigen, die der verständige Leser erkennt, selbst wenn sie nur zwischen den Zeilen zu lesen sind“. Der Paragraph 111 ist demgegenüber sehr viel enger und weniger auslegungsfähig gefaßt. Das vom Innenministerium beanstandete taz–Interview mit Autonomen zum Thema „Wenn der Strommast fällt“ konnte durch seine Anwendung nicht verfolgt werden, die Staatsanwaltschaft in Westberlin mußte ein entsprechendes Ermittlungsverfahren einstellen. Als „Aufforderung“ wird nach § 111 nämlich nur eine „über eine bloße Befürwortung hinausgehende Erklärung, daß andere etwas tun sollen“ verstanden, erläutert der renommierte Strafrechtskommentar Dreher–Tröndle und er schränkt weiter ein: „Wird lediglich eine fremde Äußerung, die eine Aufforderung enthält veröffentlicht, so greift § 111 nur ein, wenn der Veröffentlichende sie unmißverständlich zu seiner eigenen machen will“. Das ist in der Regel aber weder beim unkommentierten Abdruck einer Firmenliste, noch bei der als Dokumentation gekennzeichneten Veröffentlichung eines Bekennerbriefes oder bei einem redaktionelen Interview nachzuweisen. Sogenannte Umgehungshandlungen allerdings stellt der neue Paragraph 130a unter Strafe. Das ist der wesentliche Punkt, an dem er sich von seinem 1981 abgeschafften Vorgänger unterscheidet. In der Bundestagsdrucksache begründen die CDU/CSU und die FDP–Fraktion diesen Passus ihres Gesetzes: „Er soll sog. Umgehungshandlungen mit Strafe bedrohen, bei denen sich die Zweckbestimmung, nämlich die Bereitschaft anderer zu fördern oder zu wecken, solche Taten zu begehen nicht bereits aus dem Inhalt der Schrift selbst bestimmt“. Diesen kleinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen dem alten und dem neuen 130a hat die, während der parlamentarischen Beratungen ohnedies ausgesprochen leidenschaftslose SPD, so gut wie nicht berücksichtigt. „Der 130a wird keinerlei Wirkung entfalten“ versicherte der hessische Justizminister Günther noch am Mittwoch Journalisten, als er ankündigte, wegen der Erweiterung der Zuständigkeiten des Generalbundesanwaltes eventuell das Bundesverfassungsgericht bemühen zu wollen. Die Grünen haben die Intentionen der neuen Formulierungen durchaus erfasst. Aber als Einzelkämpfer in den Ausschüssen gegen eine gelangweilte Front weder radikal noch radi–aktiv,meist nicht einmal taz–lesender Abgeordneteranzureden,hat sich erwartungsgemäß als wenig erfolgreiches Unternehmen erwiesen.
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