■ Eine Tagung der evangelischen Akademie Tutzing fragte nach den Frauen in der Wissenschaft: Menschliches, Allzumännliches
Nur einen Moment lang war Stille im Raum: ein beklommenes Innehalten, eine plötzliche Ratlosigkeit. Vorausgegangen war eine schlichte Frage: „Ja, fühlen Sie sich denn diskriminiert?“
Die ins junge Plenum Fragende war eine jener Damen auf dem Podium, die als kollektive Ausnahmen des deutschen Wissenschaftsbetriebes gelten können: Promovierte zwischen 60 und 80 Jahren. Frauen also, die während des Nationalsozialismus und in den fünfziger Jahren studierten und ihre Doktorarbeit schrieben, um dann die Universität zu verlassen. Die Chemikerin Hildegard Hamm-Brücher wählte die Politik, die Theologin Elisabeth Gössmann das wissenschaftliche Exil in Japan, die Botanikerin Ingrid Roth lehrte als Professorin in Venezuela. Ihre Biographien sind Stellvertretung und Ausnahme zugleich: wenn sie auch, wie die 1978 (sic!) habilitierte Gössmann, siebenunddreißig Mal bei der Bewerbung um eine deutsche Professur scheiterten, sich nicht im klassischen (männlichen) Sinne etablieren konnten, so repräsentieren sie doch, nicht zuletzt durch ihre Selbstdarstellung, ein biographisches Gelingen.
Dieses Gelingen hat seinen Preis, und eben jener drückt sich in der oben zitierten Frage aus: Wer „es geschafft hat“, obwohl fast alles dagegen sprach, neigt zur Verdrängung der überwundenen Widerstände. Die Frauen im deutschen Universitätsbetrieb, die – im Gegensatz zu den erwähnten – zu jenen 5 Prozent gehören, die als Ordinaria die vollkommene Gleichstellung mit den männlichen Kollegen erreicht haben, annullieren in der bewußten Selbstdarstellung oft genug jene Widrigkeiten, deren Folgen sie erkennbar tragen. Wer Opfer war und diesen Status verlassen hat, identifiziert sich nicht gern mit seiner stigmatisierten Herkunft.
Die Stille nach der Frage blieb – zunächst. Erst peu à peu, in Nebensätzen wie in langen, kontextuellen Erzählungen löste die Tagung das Rätsel, warum von etwa 50 Prozent Studentinnen seit den siebziger Jahren in der Bundesrepublik – und nur hier – ein Anteil von gerade mal knapp fünf Prozent Professorinnen bleibt, Tendenz derzeit rückläufig: Es ist die Totalität der Bedingungen, eine Totalität, die es schwer macht, eine schlichte Frage wie die nach Diskriminierungserfahrungen kompakt und klar zu beantworten.
Da ist zunächst der soziale Ort Universität: ein Kosmos, in dem Männer faktisch die führenden, Frauen die geführten Rollen innehaben. Ein Gebilde mit Verhaltensregeln, die auf Selbsterhaltung qua Integrationszwang beziehungsweise Ausschließung beruhen und deren Techniken der Verständigung ritualisiert und selbstbezüglich sind. Die deutschen Universitäten, die schon Max Weber als „Kartelle des Mittelmaßes“ charakterisierte, sind für niemanden ein angenehmer Aufenthaltsort, der geistig und psychisch lebendig geblieben ist – für Frauen aber kommt erschwerend hinzu, daß weibliche Vorbilder fehlen und sie, nach wie vor, Männer fachlich weit überragen müssen, um gleichbehandelt zu werden.
Eine universitäre Kristallisation wie die Habilitation macht deutlich, was unter „struktureller Diskriminierung“ zu verstehen ist: Die Habilitation als formale Zugangsberechtigung zu einer Professur verengt die Biographie genau in jenem Stadium zum Kanal, in dem die biologische Uhr an Erweiterung, sprich Familienplanung gemahnt. Akademikerinnen bleiben deshalb im Regelfall im sogenannten „Mittelbau“ stecken. Frauen zwischen Ende Zwanzig und Mitte Dreißig, die als wissenschaftliche Mitarbeiterinnen von der Promotion zur Habilitation gehen wollen, sind zudem mit einem Arbeitgeber konfrontiert, der häufiger und ungehemmter als die freie Wirtschaft die Verzichtsfrage stellt: Der Kinderwunsch wird bei der Frau abgefragt. Ein Mann, der auch Vater ist, muß darüber nicht Rechenschaft geben – hat er doch ringsum mit männlichen Vorgesetzten zu tun, die ebenfalls durch ihre Vaterschaft keinerlei Nachteile in der Karriere erfahren mußten, sondern denen häufig die gebildete Gattin noch zuarbeitete... Die Habilitationsordnung der deutschen Universitäten, in ihrer Rigidität übrigens einzigartig, ist ein Beispiel dafür, daß Ungleichheit durch formale Gleichheit nicht gelöst wird: nur ungleiche Behandlung kann Ungleiche gleichstellen.
Eben dafür steht die Frauenförderung, der die Tagung eine Diskussion unter Frauenbeauftragten an deutschen Universitäten widmete. Die Bilanz der höchst unterschiedlichen Länderpraxis des Hochschulrahmengesetzes – das den „Abbau der Benachteiligung von Frauen“ vorgibt – zeigt in Einigkeit: sie ist notwendig, aber nicht hinreichend. Wo Frauenbeauftrage, wie in NRW, Einstellungsverträge mitunterzeichnen, wo die Universität ökonomische Nachteile hinnehmen muß, wenn sie Frauen nicht fördert, wo schließlich spezifische Habilitationsstipendien für Akademikerinnen (mit der Möglichkeit zur Verlängerung, mit Kostenerstattung der Kinderbetreuung) vergeben werden, verbessert sich die Situation. Sie wird aber nur von denjenigen wahrgenommen, die nicht schon zuvor aufgrund oft unreflektierter Entmutigung die Universitätslaufbahn beendet haben – nicht zuletzt deshalb, weil diese Karriere die höchsten Risiken des späten Scheiterns bereithält, die in der BRD zu finden sind. So sind es nicht unbedingt die Begabtesten, die an der Uni bleiben – sondern die, deren soziale Duldsamkeit und Persistenz die ihrer Kommilitoninnen überragt.
Das gilt natürlich auch für Männer. Der Abschied von der feudalen Konstruktion des Ordinarius – also von dem Mythos, eine einzige Person könne zugleich Forscher, Forschungsmanager, engagierter Lehrer und Nachwuchsförderer sein – könnte beide Geschlechter entlasten. Eine liberalere Arbeitsteilung würde den universitären Mittelbau, der im stillen durch seine Arbeit die Fiktion Professor aufrechterhält, aufwerten; die Anerkennung der tatsächlichen Verhältnisse ermöglichte durch feste Arbeitsverträge die „Wissenschaft als Beruf“ vor allem jenen Frauen, die sich derzeit von Projekt zu Stipendium hangeln, bis die Alternative Professur oder Sozialamt Wirklichkeit wird. In der DDR waren die Verhältnisse diesem besseren Zustand ähnlich – bis 1989. Nun herrscht auch dort das westdeutsche Gesetz der professoralen Selbstbefruchtung.
Also wäre, was gut für Frauen ist, auch gut für alle? Das stimmt nur halb. Die Reformierung der Schädelstätte des deutschen Geistes ist notwendig, weil die Gesellschaft sich das Kartell des Mittelmaßes nicht leisten kann und sollte. Solange aber die Fächer selbst ihre patriarchal-konservativen Gehalte nicht verändern, lernen Frauen häufig das Falsche. Warum gelingt es der Nationalökonomie seit dreißig Jahren nicht, weibliche Hausarbeit als Wirtschaftsfaktor zu analysieren? Warum reflektieren die Juristen nicht, daß das Strafgesetzbuch männliche Erfahrungen und Werte formuliert? Warum kann sich die deutsche Universitätsphilosophie erfolgreich gegen alle Innovationen immunisieren? Antworten kann die Frauenforschung geben. Genau diese Einrichtung aber veräußerlicht die Paradoxie verordneten Fortschritts: wer Frauenforschung betreibt, hat eine Nischenexistenz gewählt, die den männlichen, also normalen und normierenden „Qualifizierungen“ nicht benachbart, sondern unterlegen ist. Die Kehrseite jeder Quotierung – allgemeine Entlastung und spezielle Entwertung – trifft auch die Akademikerinnen. Solange die sprichwörtlichen toten weißen Männer noch derartig lebendig sind wie an der deutschen Universität (wenn auch leider fast nur in der Verteidigung ihrer Macht), scheint eine Frauenuniversität die beste der möglichen Welten. Elke Schmitter
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