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Eine Sorge weniger für Grünen-Spitze

Stefan Gelbhaar scheitert mit seinem Comeback-Versuch zur Berlin-Wahl. Vorwürfe der Übergriffigkeit stehen weiterhin im Raum

Von Stefan Alberti

Es wird kein Comeback für Stefan Gelbhaar im Abgeordnetenhaus geben. Seine Bewerbung um einen sicheren Wahlkreis ist am Wochenende bei der Kandidatenaufstellung der Grünen in Pankow gescheitert. Was für den 49-Jährigen eine Enttäuschung darstellt, dürfte bei der Parteispitze mit Blick auf die Berlin-Wahl Erleichterung ausgelöst haben. Zu vernehmbar blieben Vorbehalte Gelbhaar gegenüber, auch wenn strafrechtlich relevante Vorwürfe sexueller Belästigung vom Tisch sind. Vor dem Tagungsort riefen Frauen mit einem Plakat und Flyern dazu auf, mit einem lila Tuch ein Zeichen der Solidarität gegen sexuelle Belästigung zu setzen.

Gelbhaar, von 2011 bis 2017 Mitglied des Abgeordnetenhauses und danach Bundestagsabgeordneter, war nach ebensolchen Vorwürfen als Kandidat zur Bundestagswahl ersetzt worden. An seiner Stelle trat in seinem vormaligen Pankower Wahlkreis Julia Schneider an und gewann.

Für bundesweites Aufsehen sorgte dabei, dass eine Grünen-Bezirkspolitikerin Anschuldigungen gegen Gelbhaar unter falschem Namen und falschen Anschuldigungen in einem Beitrag des RBB zu verstärken versuchte. Der Sender hatte die Identität der Frau nicht überprüft. Gelbhaar wehrte sich gegen Vorwürfe auch gerichtlich und setzte sich bislang dabei durch. Ein Fall soll nun in Berufung gehen. Als strafrechtlich relevant gilt aber auch der nicht.

Diese fortgesetzte gerichtliche Auseinandersetzung sowie weiter vorliegende Berichte von Frauen über als übergriffig oder belästigend empfundenes Verhalten Gelbhaars hätten den Grünen-Wahlkampf landesweit bei einem geglückten Comebackversuch begleiten können. Denn der von ihm angestrebte Wahlkreis 6, Prenzlauer Berg Nordost, ist der berlinweit sicherste bei den Grünen. Gelbhaar hätte der nächsten Fraktion im Abgeordnetenhaus genauso angehört wie die aktuelle Vizefraktionschefin Klara Schedlich, die zugleich seine Prozessgegnerin ist.

Bei der Kreismitgliederversammlung am Samstag unterlag er jedoch klar: In der dortigen Kulturmarkthalle gab es 179 Stimmen für seine 47-jährige Gegenkandidatin Sunčica Klaas, aber nur 79 für ihn. Klaas gehört dem Pankower Grünen-Vorstand an und nahm in ihrer 5-minütigen Bewerbungsrede keinerlei Bezug auf Gelbhaar oder übergriffiges Verhalten insgesamt. Nur Fragen nach Gelbhaars Rede gingen darauf ein. Er selbst räumte ein, er habe mitunter eine „rhetorisch spielerische Art, die zu Missverständnissen führen kann“.

Chancenlos: Stefan Gelbhaar Foto: Fabian Sommer/picture alliance

Klaas' mit Verve vorgetragene Rede – Gelbhaar sprach weit bedächtiger, fast emotionslos wirkend – wurde mehrfach von großem Applaus und Johlen begleitet. Nicht immer entspricht der gefühlte Applausometer einer tatsächlichen Stimmungslage in einem Raum. Hier aber war das so – die offizielle Abstimmung wurde zur bloßen Formalie.

Die später in einem anderen Pankower Wahlkreis gewählte designierte landesweite Spitzenkandidatin Bettina Jarasch hoffte in einer Art Schlusswort der Versammlung, dass sich ein seit Monaten spürbarer Riss im Kreisverband nun schließen lässt.

Sie soll mit ihrem ihrem Co-Fraktionschef Werner Graf beim Landesparteitag am 22. November zum Führungsduo gewählt werden. Im Falle eines Wahlsiegs würde Graf als erster Grüner im Roten Rathaus regieren. Davon sind die Grünen in der jüngsten Umfrage allerdings weit entfernt: Dort liegen sie nur auf Platz 5 aller fünf im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien.

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