Eine Nanny für die SPD: Die neue Supersozin
Die Sozialdemokraten versuchen mit der RTL-Familienberaterin Katharina Saalfrank Stimmen zu gewinnen. Ihr selber wird der Medienrummel langsam unheimlich.
Bestimmt waren sie später total stolz, die drei Mädchen aus der "Kleinen Grundschule" in Großwudicke. Denn sie durften mit der Super Nanny flüstern. Zu viert steckten die Mädchen und der TV-Star die Köpfe zusammen, schließlich richtete die Super Nanny das Wort an den SPD-Bundestagskandidaten Martin Gorholt. Die vier hätten eine Frage, es sei "eine Gruppenarbeit" gewesen. "Also, wir würden gerne wissen: Warum tragen Politiker eigentlich immer Anzüge?"
Gorholt stammelte etwas von "einer schwierigen Frage" und "weil man das in der Öffentlichkeit möglicherweise erwartet". Es war ein heißer Vormittag in Großwudicke. Gorholt schien es bei dieser Frage in seinem Anzug besonders warm geworden zu sein.
Der Politiker in Anzug und Krawatte auf der einen Seite, die Super Nanny mit Ray-Ban-Sonnenbrille, Stiefeln und hochgekrempelter Jeans auf der anderen - nicht nur im Stuhlkreis waren Kandidat und TV-Star weit auseinander. Es sind zwei Welten, die bei dem Wahlkampfauftritt von Katharina Saalfrank und der leidenden Volkspartei SPD in diesen Wochen aufeinandertrafen.
Auf Tour mit der SPD
Seit einer Woche ist Saalfrank, die Familienberaterin aus der RTL-Serie, in Diensten der SPD unterwegs. Bei neun Terminen wird sie mit Bundestagsabgeordneten oder -kandidaten, mit Kreisbeigeordneten, Fraktionsvorsitzenden und Staatssekretären auftreten und ein wenig von ihrem Glanz und ihrer Glaubwürdigkeit, ihrer Weiblichkeit und Jugendlichkeit der SPD abgeben - alles Dinge, die den Sozialdemokraten im Moment fehlen. "Ich möchte die Politik auf den Prüfstand stellen und sie mit zu den Menschen nehmen", sagt Saalfrank. Seit 12 Jahren ist sie Parteimitglied, durch einen persönlichen Kontakt zu Generalsekretär Hubertus Heil ist die Idee zu einer Veranstaltungsreihe entstanden. Und die führt an diesem Morgen ins Milower Land an der brandenburgischen Grenze zu Sachsen-Anhalt.
Saalfrank lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ihr um die Sache geht. Sie lässt sich durch die Schule führen, über den Pausenhof, fragt, hört hin, spielt Rundlauf mit den Schülern und schaut beim Fußball zu. "Toll, dass so viel Sport angeboten wird", sagt sie. Die Kita besucht sie ohne Journalisten und Fotografen. Zu viel Trubel für die Kinder.
Obwohl sie ein Millionenpublikum seit Jahren in ihrer Fernsehserie Woche für Woche beobachten kann, scheint ihr der Rummel um ihre Person suspekt zu sein. "Verwundert" sei sie, dass so viel Medieninteresse besteht. "Sonst bin ich auch mit Veranstaltungen unterwegs", sagt sie, "das scheint weniger zu interessieren." Aber jetzt ist Wahlkampf. Und mit dieser neuen Rolle als sommerliche Vorkämpferin fremdelt Saalfrank.
Doch den Mechanismen von Wahlkampf und Sommerloch kann sie nicht mehr entkommen. Am Wochenende meldete sich die SPD-Familienpolitikerin Marlene Rupprecht zu Wort und verlangte im Spiegel eine Erklärung von Generalsekretär Hubertus Heil, warum Saalfrank im Wahlkampf eingebunden werde. "Kinder dürfen nicht benutzt werden, um Quote zu machen", sagte Rupprecht mit Blick auf die RTL-Sendung.
Auskunft bei Hubertus Heil
Katharina Saalfrank sitzt in einem bunten Schulzimmer auf einem kleinen Stuhl, als sie nun doch zu dem Thema Stellung beziehen muss. Hinter ihr hängt eine Erdkarte, daneben eine der britischen Inseln, ein paar Zeitungsartikel aus den Lokalblättchen sind ausgeschnitten. "Ich fühle mich nicht kritisiert", sagt sie zu dem Kommentar Rupprechts, vielmehr müsste man sich an Hubertus Heil wenden, wenn man Auskunft über ihre Rolle im Wahlkampf erhalten möchte. Saalfrank wirkt unruhig. "Ich bin ein kleines Licht", sagt sie, "ich bleibe bei meiner Berufung und konzentriere mich auf das Wesentliche." Mit Hubertus Heil sei sie schon vor einem Jahr unterwegs gewesen, damals "hätte noch niemand von Wahlkampf gesprochen".
Die Kritik, dass man in ihrer Sendung nur medienwirksam agiere, kann sie zum Teil sogar nachvollziehen. "Eine Nachsorge ist mir deshalb besonders wichtig", sagt sie. Auch den Titel Super Nanny findet sie schwierig. "Da wird suggeriert, dass jemand kommt, der super ist - das schafft eine schwierige Anfangssituation", sagt sie.
Einige Stunden später ist Katharina Saalfrank an einer anderen Grenze Brandenburgs angekommen, an der zu Berlin. Im Bezirk Treptow-Köpenick kämpft der SPD-Bundesgeschäftsführer Kajo Wasserhövel einen schweren Kampf um ein Bundestagsmandat gegen den Linken Gregor Gysi.
Hier, im Altglienicker Bürgerhaus, ist an diesem Abend alles rot. Rote Ledersessel stehen auf dem Podium, rote Stühle vor der Bühne, rote Plakate hängen an der Wand. Mit Wahlkampf habe das nichts zu tun, wird Wasserhövel fast schon empört nach der Veranstaltung sagen. Vor der Tür stören zwei spontane Gegenveranstaltungen die sozialdemokratische Harmonie. Die Gewerkschaft der Polizei demonstriert für mehr Lohn, die CDU verkauft Lose gegen die "Bildungslotterie". Eine Frau schwenkt: "Gegen verfehlte rot-rote Bildungspolitik hilft die Super Nanny".
Der Wind bläst der SPD ins Gesicht, auch hier im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick. Es fehlt ein Thema für den Bundestagswahlkampf. Die Familienpolitik wurde von der CDU-Ministerin Ursula von der Leyen mit allen Themen besetzt, die früher mal als sozialdemokratisch galten. Kinderbetreuung, Vereinbarkeit von Beruf und Familie - der siebenfachen Mutter fehlt als Powerfrau das sozialdemokratische Gegenüber.
Auch wenn sich die SPD-Spitze dagegen wehrt - in diese Lücke stößt Katharina Saalfrank mit den Veranstaltungen, die unter dem Titel "Bildung und Familie - was brauchen unsere Kinder" geführt werden. Damit liegt eine Last auf ihr, die sie offenbar unterschätzt hat. Sie ist die Hoffnungsträgerin der SPD.
Und tatsächlich: Saalfrank ist bekannt und beliebt, medial gewandt, glaubwürdig, jugendlich und vierfache Mutter zugleich. Ein Besucher sagt, er sehe sie jetzt das erste Mal in Natur und gesteht ihr: "Du siehst umwerfend aus." Vor allem aber zeigt sie an diesem Abend eines: ihre Kompetenz.
Im Bürgerhaus Altglienicke spricht Saalfrank von "familiären Ritualen", von denen sie "großer Fan ist". Sie kritisiert, dass Eltern Verlässlichkeit von Kindern erwarten, aber auf der anderen Seite "oft gar nicht merken, dass sie selbst nicht verlässlich seien". Sie diskutiert Väterrechte, Sanktionen, einen Elternführerschein. Begeistert verfolgt das Publikum die Ausführungen der Super Nanny, auch die zahlreichen Kinder beteiligen sich an der Diskussion - und wenn es nur mit einer Frage nach einer Unterschrift ist.
Am Ende gibt es langen Applaus und die erwünschte Autogrammstunde. Vergessen sind die Gegenveranstaltungen vor der Tür, die Umfragewerte, die schlechte Stimmung. "Wir wollten das Thema Familienpolitik mal völlig anders aufziehen", sagt Kajo Wasserhövel am Ende fast ein wenig euphorisiert, "das ist gelungen".
Währenddessen eilt Katharina Saalfrank aus dem Saal ins Obergeschoss, weg von Interviewanfragen und Blitzlichtern. Sie will schnell wieder zu ihrer Familie, sagt eine SPD-Mitarbeiterin. Sich den Kindern widmen, "sie nimmt ihre Aufgabe als Mutter sehr ernst". Heraus aus dem Wahlkampf, von dem jeder behauptet, dass er erst im August beginnt. Und der doch schon im Juli begonnen hat, auf den Schultern der Super Nanny.
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