piwik no script img

Eine Mutter vor GerichtSchulschwänzen mit Dominoeffekt

Wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht ist eine 33-jährige Mutter in Berlin zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden.

Verstöße gegen die Schulpflicht gelten als Ordnungswidrigkeiten. Doch wer seine Kinder nicht regelmäßig zur Schule schickt, riskiert neben einem Bußgeld auch eine Verurteilung wegen Verletzung der Fürsorge- und Erziehungspflicht. So erging es jetzt der Deutschpolin Krystyna H., die mindestens seit Dezember 2004 bei dreien ihrer fünf Kinder die Schulpflicht missachtete. In diesen drei Jahren sammelte allein ihr heute 14-jähriger Sohn über 500 Fehltage. Gestern wurde die 33-Jährige vom Amtsgericht Tiergarten zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt. Drei Jahre lang muss sie die Auflagen des Gerichts erkennbar erfüllen. Dazu gehört die Zusammenarbeit mit einem Bewährungshelfer und dem Jugendamt, das ihr seit einem halben Jahr eine Familienhelferin zur Seite stellt.

"Ich verspreche, dass ich jetzt meine Kinder jeden Tag zur Schule schicke", sagt die kleine, füllige Frau mit dem stumpfen Gesichtsausdruck. Ihre Beteuerung klingt wie: "Bitte lassen Sie mich in Ruhe!" Das Wort "Bewährung", das sie nach der Verurteilung dem Vater ihrer Kinder zuruft, klingt fast wie ein Siegesschrei. Wahrscheinlich hat die sechsmal vorbestrafte Kleinkriminelle, die nach eigenen Angaben deutsche Texte nur schlecht lesen kann, nicht verstanden, dass sie dem Gefängnis noch nie so nahe war.

Denn selbst als ihr vor sieben Monaten die Anklage zugestellt wurde, änderte sich bis heute nichts an ihrem Verhalten. Im Sommer des vergangenen Jahres endete zwar für ihre älteste, 17-jährige Tochter die Schulpflicht, doch die Lücke füllte sofort der jüngste Sohn: Der Erstklässler schwänzte bis zum heutigen Tag bereits 38-mal die Schule - über ein Drittel des Unterrichts. "Das war wie ein Dominoeffekt innerhalb der Familie", schlussfolgerte Amtsrichter Volker Kaehne. "Einer fängt an, die anderen machen mit." Die anderen, das sind der 14-jährige Juliano, die 7-jährige Lorena und jener Erstklässler, dessen Verstoß gegen die Schulpflicht jedoch noch gar nicht von der Anklage erfasst wurde.

"Meine Töchter und mein Sohn wollten nicht in die Schule gehen", sagt die Angeklagte dem Richter. "Ich habe sie geweckt und zur Schule geschickt, aber wohin sie gegangen sind, weiß ich nicht." Das Schwänzen habe sie erst bemerkt, als der Schuldirektor bei ihr anrief. Die Kinder erschienen nämlich stets pünktlich am Nachmittag zu Hause. Sie wolle schon, dass die Kinder zur Schule gehen, um etwas zu lernen, sagt Krystyna H. Aber sie hätten nicht auf sie gehört, und sie habe nicht gewusst, dass es so etwas wie eine Familienhelferin gibt. Das dementiert ein Mitarbeiter des Schulamtes als Zeuge vor Gericht. Man habe der Angeklagten seit langem diverse Hilfen angeboten, nachdem die Verhängung von Bußgeldern nichts genutzt habe. Doch erst als man H. wegen der inzwischen 4.000 Euro Bußgeld in Erzwingungshaft setzen wollte, habe diese sich gerührt. Man einigte sich mit ihr auf 20-Euro-Raten, doch auch diese seien bislang nicht gezahlt worden.

Weil die drei Kinder auch in diesem Schuljahr nicht regelmäßig zur Schule kamen, plant das Schulamt nun den Gang ans Familiengericht. Dort kann man der unfähigen Mutter auch das Sorgerecht entziehen. Warum sie die Kinder nicht bis zur Schule begleitet habe, will die Staatsanwältin wissen. Sie habe ein zweijähriges Kind, antwortet die Angeklagte. "Bis zur Schule ist es ein bisschen weit. Muss man mit der U-Bahn fahren." Was sie sagt, klingt nach Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit - und nach Unbildung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
  • S
    Superartikel!

    Schön dass jetzt Frau Eisenhardt erzählt, was Koch schon lange verbreitet: Eine Frau, die flugs ethnisiert wird - "Deutschpolin", natürlich "Kleinkriminelle", was man ja von Polen eigentlich sowieso weiß und deshalb im Artikel durch nichts belegt werden muss, schickt drei ihrer fünf Kinder nicht in die Schule. Die verhängte Haftstrafe gegen die Frau wird der Familie und vor allem den Kindern sicher weiterhelfen.

    Auf Frau Eisenhardt dagegen wartet bei solch einem Artikel sicher eine hoffnungsvolle Karriere bei der Bildzeitung:

    Abneigung und Ekel vor der "unfähigen Mutter mit dem stumpfen Gesichtsausdruck" prägen den Artikel.

    Kein Wort zu den Lebensbedingungen der Mutter, keine Frage nach der Verantwortung des Vaters- wieso wird der nicht angeklagt?- kein Gedanke daran, wie wohl eine Frau mit fünf Kindern lebt, die davon das erste schon mit 16 Jahren bekommen hat. Keine Frage oder gar kritische Anmerkung zu den angebotenen Hilfen, keine zur Sinnhaftigkeit eines Bußgeldbescheides, den die Frau unter Umsänden gar nicht versteht weil sie nur unzureichend lesen kann, stattdessen die Diagnose Gleichgültigkeit, Bequemlichkeit und -Igitt- Unbildung, wogegen eine Haftstrafe sicher Wunder wirkt.

    Ein Beitrag der hervorragend in die Diskurse gegen "Bildungsferne Migranten" passt, gegen die jetzt endlich andere Seiten aufgezogen werden müssen.