Eine Künstlerin in Braunschweig: Nischen gefunden

Als alle Welt nach Berlin ging, blieb Sina Heffner in Braunschweig. Dort arbeitet sie immer wieder an Bildern des Tierischen - und erschuf sogar einen Publikumsliebling.

Ich muss nicht jeden Abend auf Vernissagen gehen": Sina Heffner. Bild: Andreas Bormann

BRAUNSCHWEIG taz | Wen hättet Ihr gern als Oberbürgermeister? Diese Frage stellte, geradezu hellseherisch, im Februar das Wolfsburger Stadtmagazin Tacho. Und wen wählte man? Die weiße Giraffe von Sina Heffner. Seit 2009 äßt die die vier Meter hohe Tierplastik keck am Ortseingang, unterhalb des Theaters, und wird seither von den Wolfsburgern geliebt: Im Winter bekommt sie Halstuch oder VfL-Schal um den langen Hals, und besprayt worden ist sie bislang nur ein einziges Mal. Aber wer ist die Frau, der es gelang, ausgerechnet mit Kunst im öffentlichen Raum die Menschen so für sich zu gewinnen?

Sina Heffner ist schon zeitig in ihrem Atelier, einem aufgegebenen Kiosk an einer gründerzeitlichen Straßenecke, ein paar Schritte entfernt von ihrer Wohnung. Der Kaffee ist fertig, Kekse stehen parat, der Milchschaum ist in Arbeit - Sina Heffner scheint sich in Braunschweig bestens organisiert zu haben.

1980 in der Nähe von Bielefeld geboren, kam Heffner mit 18 zum Studium an die niedersächsische Kunsthochschule. Die Akademie in Münster, gar die Kunsthochburg Düsseldorf schieden für sie aus, sie folgte der Empfehlung eines Freundes. 2004 dann das Diplom mit Auszeichnung, 2005 das Meisterschuljahr bei Thomas Virnich. Zeitgleich mit dem Diplom aber auch die Geburt ihres ersten Kindes, des Sohnes, und nach Abschluss der Meisterklasse ihrer Tochter. Familie und Kunst strukturieren seitdem ihren Alltag.

Mittlerweile gehört es unter den Studierenden der Braunschweiger Kunsthochschule ja zum Image, spätestens zum Ende des Grundstudiums den Wohnsitz nach Berlin verlegt zu haben. Sina Heffner hingegen schätzt die Qualitäten der Provinz: Hier gibt es wenig Ablenkung, kaum einen Kunstbetrieb, keine Galerien. "Ich muss auch nicht jeden Abend auf Vernissagen gehen", sagt sie.

Im Gegenteil: In Braunschweig herrscht ein abgeschiedenes, ruhiges Leben, das sie schon im Studium zu nutzen wusste. Ihre Professoren kamen maximal alle 14 Tage angereist, dann wurde diskutiert, korrigiert, dazwischen blieb Zeit zu eigenen Entwicklungen.

Dabei fand Heffner zum Tier. "Ich komme vom Dorf, meine Familie ist naturverbunden", sagt sie, aber auch, dass das Tier nur als Formgeber diene. Denn sie geht in ihren Plastiken nicht naturalistisch figurativ zu Werke. Sie analysiert, erfasst den Ausdruck eines jeweiligen Tierkörpers, übersteigert ihn und abstrahiert das Ergebnis - manchmal bis an die Grenze der Erkennbarkeit: Ein Elefant beispielsweise ist da nur noch eine filigrane "Zeichnung" aus geformtem Maschendraht.

Und auch bei der Wolfsburger Giraffe sind die Gliedmaßen überdehnt, ist die gebeugte Körperhaltung jenseits der wahren Anatomie angespannt. Die weiße Farbe lässt das dergestalt erzeugte Kraftgefühl dann zu einer energischen Geste im Landschaftsraum kumulieren.

Das hat Sina Heffner an einem großen Geländemodell in Varianten probiert, den genauen Standort gefunden. Ein Statiker half bei der internen Substruktion und sorgte für stabile Fundamente. Oder ihre Werkgruppe rund um die "Schatullen": Einzelne Tiere oder kleine Herden werden in planen Ansichtsseiten aus Pappe geschnitten und mit Klebeband zu kristallinen Körpern fixiert.

Zurzeit experimentiert Sina Heffner mit Vogelschwärmen. Der Prototyp einer großen Fläche zusammenhängender Silhouetten, aus weißem Karton geschnitten, ziert ihr Atelierfenster. Die in Alublech lasergefertigte Variante ist, dreidimensional aufgefächert und dynamisch wie zum Fluge abhebend, Teil ihrer derzeitigen Ausstellung auf der Inselfestung Wilhelmstein im Steinhuder Meer. Dort hat sie die fünf kleinen Glashäuser des "Meerkunstraums" mit vielerlei Getier bevölkert, in einer Voliere beispielweise sind Vögel aus aller Herren Länder, auf Sockeln dichtgedrängt, behaust.

An Ausstellungen und Auftragsarbeiten, auch für exponierte Orte, sowie Auszeichnungen und Arbeitsstipendien herrschte von Anbeginn kein Mangel. 2009 war sie als Preisträgerin mit einer Einzelausstellung in der Moritzburg-Halle vertreten, im Augenblick ist sie erneut auf der Alumni-Schau BS-Visite dabei. Eine Beteiligung an dem Salon in Salder will vorbereitet werden, und dann kommt zum Jahresende eine große Einzelpräsentation im Naturhistorischen Museum in Braunschweig. Dort werden ihre abstrahierten Vögel in dem ornithologischen Saal unter ihren ausgestopften Brüdern zu Gast sein, aber auch Tierköpfe und Trophäen sollen weitere Themenbereiche verfremden.

"Ich bin konsequent hier geblieben, hab meine Nischen gesucht", fasst Sina Heffner ihr Prinzip zusammen. In diesen Nischen, mit den regionalen Förderkulissen weiß sie erfolgreich zu operieren. Nicht nur, dass sie so wohl ihre perfekte Work-Life-Balance gefunden hat. Sie erschafft, wie mit der von der Stadt Wolfsburg bestellten Giraffe, starke Charaktere, die selbst einem omnipräsenten Oberbürgermeister mitunter die Schau zu stehlen vermögen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.