■ Eine Generation gibt den Konjunktiv nicht mehr her: Sprache im Schneidersitz
1968 konnte ich gerade sprechen. Ich konnte mich ausdrücken. Kurze, unverbogene Sätze. Subjekt, Prädikat, Objekt: Ich will Schokolade. Oder: Ich muß Pipi. Unmißverständlich. Absolut. Und immer indikativ.
Und während ich so meine klaren Vorstellungen in klaren Sätzen zu formulieren begann, merkte ich gar nicht, daß rund um mich herum eine ganze Generation von jungen Erwachsenen gerade ziemlich komplexe Postulate aufstellte.
Und was viel schlimmer war: Auch in den folgenden Jahren, in denen ich lernte, Nebensätze zu bilden, kausale und konditionale, war ich immer viel zu sehr mit mir und meinen eindimensionalen Bedürfnissen beschäftigt, um zu merken, daß eine ganze Generation von Erwachsenen einen Edelkorken auf eine große Revolution pfropfte, sich im Schneidersitz vor die Flasche kauerte, um in den kommenden Jahren zu beobachten, wie das Kribbelwasser darin erst schal und dann immer weniger wurde. Auf der Flasche klebte ein handbeschriebenes Etikett: „Wäre schön gewesen!“
Dreißig Jahre sind seitdem vergangen. Das Kribbelwasser kribbelt nicht mehr. Es ist nur noch eine kleine Pfütze.
Eine ganze Generation von Erwachsenen, älteren Erwachsenen mittlerweile, pitscht mit den Fingern in dieser Pfütze rum, damit sie wieder ein paar Blasen wirft. Dabei weiß doch jedes Kind, daß so eine Pfütze, wenn man sie breitschmiert, nur noch schneller verdunstet.
Diese Generation von älteren Erwachsenen ist heute die Generation der Vorgesetzten. Vorgesetzte übrigens, die immer gerne diskutieren. Ausdauernd. Sie wissen schon, mit den Fingern immer in der Pfütze rum.
Alle sitzen sie dann an einem gewaltigen Konferenztisch zusammen, der Sitzungsleiter hat gerade ganz inoffiziell kurz die Mikrofonanlage getestet: mal draufklopfen, mal reinpusten: „Geht das hier jetzt? Hört man mich?“
Dann spricht er die Begrüßungsformel: ungezwungen, bequem, hemdsärmelig, sozusagen im Schneidersitz: „So, ich würde dann einfach mal anfangen. Wenn sie vielleicht schon mal die Tür zumachen würden ...“
Das ist dann der Moment, in dem ich als armer Subjekt-Prädikat-Objekt-Mensch leicht verspätet hereinbreche. Mein Atem geht vom Rennen so heftig und laut, daß der erste Redner auf der inoffiziellen Rednerliste warten muß, bevor er ansetzt.
„Dann wären wir ja jetzt wohl komplett.“
„Sind wir's, oder sind wir's nicht?“ denkt sich der arme Indikativ-Subjekt-Prädikat-Objekt- Mensch. Sie reden ständig im Konjunktiv, diese Vorgesetzten, die nie welche hätten sein mögen, und meistens benutzen sie ihn falsch.
Der Redner fährt fort: „Ich würde mir wünschen ...“ Da! Schon wieder! Und jetzt sagt er bestimmt noch „ein Stück weit“. Achtung: „... daß sie unseren kollegialen Kreis durch Pünktlichkeit respektieren.“ Schade, kein Stückweit.
Aber dafür hätte hier jetzt ein Konjunktiv hingehört. „Ein Respekt, den wir ihnen gegenüber schließlich auch zeigen, ein Stück weit.“
So relativiert sich eine ganze Generation älterer Erwachsener hinreichend selbsterfahren in den Schlaf. Was ja keinen stören würde, wenn es nicht diesen umfassend lähmenden Effekt hätte. Eine ganze Generation, die versucht, ihre verjährte Errungenschaft zu konservieren, indem sie alles spätere Handeln lahmlegt, aussitzt, vor-sitzt eben.
„Es hätte doch so schön geworden sein können“ – ist es aber nicht.
Und so hoffen sie, daß es keiner merkt und verschanzen sich hinter einer dichten Kette von Konjunktiven. Da hilft alles nichts: Es ist und bleibt ein indikativer Satz mit X: War wohl nix.
Und noch schlimmer ist die Generation, die für die Heldentaten der Revolution damals noch zu pubertär war und heute kompensiert als übereifrige Nachlaßverwalter. Subjekt – Prädikat – Objekt: Ihr – nervt – uns. Geht Tee trinken oder nach Gütersloh!
Und übt den Indikativ: Tut gar nicht weh. Nur am Anfang. Martina Müller-Wallraf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen