: Eine Frage von Moral und Unmoral
■ betr.: „Die letzte männliche Ba stion“, taz vom 30.9. 97
Der Mangel an Teilzeitarbeit hat etwas mit Grundwerten zu tun, denen des Unternehmens nämlich. Einen „guten“ Unternehmer zeichnet aus, die ihm verfügbaren Mittel möglichst gewinnbringend einzusetzen. Das gilt von Geld, aber auch von Arbeitskräften. Wenn eine reguläre Kraft durch zwei 610-DM-Kräfte ersetzt werden kann, bleiben dem Unternehmer ein- bis zweitausend Mark mehr für seine persönlichen oder sonstigen Zwecke in der Tasche. Das muß also, wenn möglich, getan werden.
Oft ist eine Vollzeitkraft aber lohnender. Denn nur diese kann richtig ausgenutzt werden. Denn die Devise heißt: Hochkochen und dann auf Leistungsniveau halten. Daß bei diesem Spiel Kranke oder (im ersten Fall) mittellose Menschen zurückbleiben, ist kein Bestandteil des derzeit sich durchsetzenden unternehmerischen Wertehorizonts. Das hat nur zum Teil mit Männerbastion „Arbeit“ zu tun. In der Hauptsache ist es (je nach Gesichtspunkt) eine Frage von „Moral“ und Unmoral. Ohne politischen Eingriff, etwa durch eine dynamisch regulierende progressive Besteuerung der genutzten Arbeitszeit (zum Beispiel daß jede Stunde über die 5. hinaus um die Hälfte oder mehr teurer wird zugunsten eines allgemeinen Mindesteinkommens) wird sich daran nichts ändern. Martin Th. Köhler, Mörlenbach
Der vielbeschworene „Tod der Arbeitsgesellschaft“ ist vielleicht nahe in dem Sinne, daß der Anteil der Lohneinkommen am Volkseinkommen über die letzten Jahre gefallen ist (und weiter fallen wird) – aber daraus folgt nicht, daß unter gegebenen Bedingungen die gleichen Einkommen bei geringerer Arbeitsstundenzahl möglich wären. Wollen die Blue-collar-Arbeitnehmer bei Verkürzung der Arbeitszeit gleich hohe Einkommen haben wie bisher (oder steigende), müssen sie zum Beispiel verstärkt als Erfinder, Selbständige oder Aktienspekulanten tätig werden. Auch „Arbeit“, und sicher keine leichte für einen typischen heutigen Fließbandarbeiter bei VW. Also: kein Widerspruch in Kohls Aussage „Deutschland = Freizeitpark“ und seiner Teilzeitinitiative, wenn man die Einkommensseite berücksichtigt. Und: Wie viele Leute wollen wirklich weniger (Fließband) arbeiten, wenn sie entsprechend weniger Einkommen erhielten? Mal ehrlich: Das Handy muß doch sein, oder etwa nicht? Wolfgang Keller,
Toronto/Kanada
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