piwik no script img

Archiv-Artikel

„Eine Art postmoderne Spaßguerilla“

Die jugendlichen Raser aus Bielefeld heischen nach Aufmerksamkeit, sagt der Verkehrssoziologe Alfred Fuhr

taz: Herr Fuhr, was reizt Jugendliche an illegalen Autorennen wie dem „Car-Freitag“?

Alfred Fuhr: Jugendliche verteidigen ihr Territorium, auch auf der Straße. Ein Phänomen, das zum Teil von den Autos kommt. Es geht aber auch um Ruhm. Die Jugendlichen möchten alle mal im Rampenlicht stehen. Deswegen werden die Rennen auch auf Video festgehalten. Sie werden dann gerne der Polizei geschickt, nach dem Motto: „Ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt, uns gehört die Straße.“

Die Konfrontation wird also bewusst gesucht.

Ja, natürlich. Die Polizeiverarschung gehört dazu. Es ist ein reines Jugendkulturphänomen. Die Jugendzeit ist nun mal die Zeit, die wir den Menschen geben müssen, um Fehler zu machen. Und manchmal sind es eben Fehler, die tödlich enden. Das ist das Risiko.

In Bielefeld wurde eine Frau getötet, mehrere Unbeteiligte wurden verletzt. Wirkt das gar nicht abschreckend?

Nein. Jugendliche haben eine unheimlich hohe Reizschwelle. Das ist superschwer, die zu knacken. Wir haben es schon mal versucht und nach schweren Diskounfällen ein verunglücktes Auto, das noch blutbespritzt war, auf den Schulhof gestellt. Das hat die Schüler überhaupt nicht berührt.

Was kennzeichnet die so genannte Tuning-Szene, die illegale Rennen veranstaltet?

Es sind Leute mit einer guten Ausbildung. Sie haben Geld und sind auf dem neuesten Stand der Technik. Die Szene ist unglaublich flexibel und gut organisiert. Sie hat Spaß daran, die Polizei vorzuführen, wie eine Art postmoderne Spaßguerilla. Die Tuning-Szene orientiert sich an dem Film „American Graffiti“, wo man bis kurz vor eine Schlucht gefahren ist, um es dem anderen zu zeigen, nach dem Motto: Wer bremst, verliert. Inzwischen geht es aber darum, dass man den anderen beherrscht.

Ihre schnellen und aufgemotzten Autos sind also Statussymbole.

Ja, die Attribution des Autos wird auf die Person übertragen. Man trifft sich und sagt: „Komm, zeig mal.“ Es sind aber keine Ferraris, sondern aufgemotzte Alltagsautos. Teure Autos können sie sich nicht leisten. Manchmal sind die Wagen noch nicht einmal zugelassen.

Einige aus der Tuning-Szene distanzieren sich von illegalen Rennen.

Ja, aber das hat keine Auswirkungen auf die anderen. Denken Sie nur an gewaltbereite Fußballfans. Einer reißt den anderen mit. So ist das auch in der Tuningszene, nur eben mit Autos. Es gibt auch immer irgendwelche Mitläufer und Nachahmer. Das Problem ist: Je mehr darüber berichtet wird, desto reizvoller ist es für die Jugendlichen. Je mehr Berichte, desto lieber. Illegale Rennen sind übrigens ein reines Großstadtphänomen. Auf dem Land haben die Jugendlichen feste Plätze, die der Polizei bekannt und zudem leicht einsehbar sind.

In Moskau wurden mehrere beliebte „Rennstraßen“ gesperrt. Wäre das auch eine Lösung für NRW?

Nein, dann gehen sie woanders hin. Man wird relativ wenig tun können. Außer Sozialforscher darauf anzusetzen und den Jugendlichen ein neues Spielfeld zu geben. Und das wird ja auch probiert. Die Polizei kann Präsenz zeigen. In Amerika lädt sie die Leute ein und sagt: Fahrt mal gegen uns Rennen. Die Jugend wird sich aber immer wieder einen Platz suchen, um ihre Initiationsriten auszuleben. Man kann ihnen nur sagen: Haltet die Zuschauer raus. Die Gesellschaft muss aber lernen, mit ihnen auszukommen.

INTERVIEW: GESA SCHÖLGENS