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Archiv-Artikel

„Eindeutig ein Spielfilm“

Noch kein Urteil zu Contergan-Film, Gericht beanstandet aber deutlich weniger Szenen als vorige Instanz

Im Streit um den WDR-Film „Eine einzige Tablette“ über den Contergan-Skandal zeichnet sich ein weitgehender Erfolg des WDR und der Produktionsfirma Zeitsprung ab. Im Berufungsverfahren am Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg, das gestern begann, machte die Vorsitzende Richterin deutlich, dass sie in weiten Teilen zu einer anderen Beurteilung als das Landgericht käme. Das Pharmaunternehmen Grünenthal, das in den 1950er-Jahren das Schlafmittel Contergan auf den Markt gebracht hatte, hatte gegen den Fernsehfilm im Juli 2006 eine einstweilige Verfügung vor dem Hamburger Landgericht erwirkt und damit die Ausstrahlung des Zweiteilers unterbunden. Grünenthal und der Opferanwalt Karl-Hermann Schulte-Hillen, an dessen Lebensgeschichte sich der Film orientiert, hatten in zahlreiche Stellen des Drehbuchs eine Verdrehung historischer Tatsachen gesehen. WDR und Zeitsprung waren dagegen in Berufung gegangen (siehe taz von gestern).

Gestern stellte die Vorsitzende Richterin nun klar, dass sie den Film als Grundlage ihrer Entscheidungen nehme. Dadurch wurden diverse Einwände der Kläger gegen das Drehbuch hinfällig, weil sie in der Endfassung des Films nicht enthalten sind. Außerdem betonte die Richterin, dass es sich bei „Eine einzige Tablette“ „eindeutig“ um einen Spielfilm handle: „Die ästhetisch-künstlerische Verfremdung ist deutlich.“ Damit fällt der Film in den Schutzbereich der Kunstfreiheit, die beispielsweise nur bei schweren Eingriffen in Persönlichkeitsrechte eingeschränkt werden kann.

Gerade diese Eingriffe in Persönlichkeitsrechte wollte die Richterin im Fall von Schulte-Hillen nicht erkennen. Schulte-Hillen hatte als Vater eines Contergan-geschädigten Sohnes in den 1960er-Jahren gegen Grünenthal geklagt. Die Filmfigur Paul Wegener, so das Gericht, sei zwar erkennbar an Schulte-Hillen angelehnt, weiche aber in wichtigen Aspekten wie etwa Namen, Kinderzahl oder beruflicher Situation von der realen Person ab und sei so als fiktive Figur erkennbar. Außerdem seien die beanstandeten Abweichungen nicht schwerwiegend, da die Filmfigur sehr positiv dargestellt werde. Nur bei Szenen, in denen über Entschädigungszahlungen verhandelt wird, wollte das Gericht noch einmal prüfen, ob sie ehrenrührig sind.

Bei Grünenthal wollte das Gericht hingegen mehrere Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht nicht ausschließen. Einzelne Szenen, in denen der Umgang des Unternehmens mit Klägern thematisiert wird, wertete es als erhebliche Übertreibung des tatsächlichen Verhaltens der Firma.

Ein abschließendes Urteil ist für den 10. April angesetzt – sollten die Streitparteien vorher keinen Vergleich schließen.

HANNAH PILARCZYK, HAMBURG