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„Ein solcher Prozeß darf sich nicht wiederholen“

■ Zweimal lebenslang und zweimal Freiheit im Düsseldorfer Kurdenprozeß

Düsseldorf (taz) – Es ist vollbracht. Nach viereinhalbjähriger Prozeßdauer sprach der fünfte Strafsenat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts am Montag im sogenannten Kurdenprozeß sein Urteil. Wegen Mordes und Mordversuchs an abtrünnigen Mitgliedern der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurden die beiden PKK- Anhänger Ali Aktas und Hasan Güler zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Zwei weitere langjährige Führungsmitglieder der PKK kamen mit Haftstrafen von sechs und sieben Jahren davon.

Duran Kalkan alias Selahattin Erdem, für den die Bundesanwaltschaft wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung und Beteiligung an einem Mord noch lebenslang gefordert hatte, konnte den Gerichtssaal ebenso als freier Mann verlassen wie Ali Kaytan. Beide wurden von vor dem Gerichtsgebäude von demonstrierenden PKK-Anhängern begeistert empfangen. Kalkan erhielt sechs Jahre Haft ausschließlich wegen „mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung“. Kaytan, gegen den die Bundesanwaltschaft 15 Jahre beantragt hatte, wurde wegen desselben Vorwurfs und wegen Freiheitsberaubung in drei Fällen zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der vom PKK-Generalsekretär Abdullah Öcalan nach Europa entsandte Kaytan hatte mehrere PKK-Funktionäre in Parteihaft nehmen lassen und verhört. Einer der Inhaftierten entzog sich der Haft dabei – offensichtlich aus Angst – durch einen tödlichen Sprung aus dem 9. Stock einer Wohnung. Da Kaytan und Kalkan schon seit fast sechs Jahren in U-Haft saßen, entließ der Senatsvorsitzende Jörg Belker die Angeklagten in die Freiheit.

Die Urteilsbegründung nutzte der Senatsvorsitzende zu einer harschen Schelte gegen Verteidiger und Ankläger. Der Karlsruher Bundesanwaltschaft, deren früherer Chef Kurt Rebmann das Düsseldorfer Verfahren einst stolz als den „größten Terroristenprozeß“ in der Bundesrepublik charakterisiert hatte, warf Belker eine fehlende Konzentration auf die wesentlichen Anklagepunkte vor. Belker wörtlich: „Ein Geburtsfehler war der Umfang der Anklage.“ Dadurch seien seitens der Bundesanwaltschaft „sehenden Auges Schwierigkeiten aufgetürmt worden“. Das Mammutverfahren mit ursprünglich 18 Angeklagten und 36 Verteidigern war in den ersten Monaten von einem Eklat zum nächsten gestolpert. Belker machte dafür auch den „politischen Fanatismus der Angeklagten“ und die „ideologische Verteidigung“ verantwortlich, die jedes „kooperative Verhalten“ verweigert habe. In der ersten Phase des Prozesses habe die Verteidigungsstrategie „Züge von Terror“ angenommen. Dem habe das Gericht wegen der geltenden Strafprozeßordnung kaum etwas entgegensetzen können. Vom Gesetzgeber verlangte Belker für solche Fälle „stärkere Befugnisse für Richter“. Belker abschließend: „Ein solcher Prozeß, darf sich nicht wiederholen.“

Für das Gericht steht am Ende des Prozesses zweifelsfrei fest, daß die Angeklagten Güler, Kalkan und Kaytan eine wichtige Rolle in der konspirativ arbeitenden Parteiabteilung „Aufsicht und Nachrichtenwesen“ gespielte haben. Dieser parteiinterne Sicherheitsdienst, den das Gericht im Einklang mit der Bundesanwaltschaft als „eine terroristische Vereinigung“ (129a STGB) innerhalb der PKK einstufte, sei für die Disziplinierung, Einschüchterung und Bedrohung – bis hin zum Mord – von abtrünnigen Parteimitgliedern und die Verfolgung politischer Gegner verantwortlich gewesen. Das gehe aus den „im vollen Umfang beweiskräftigen Aussagen“ des Kronzeugen Ali Centiner ebenso hervor, wie aus den sichergestellten Dokumenten, Protokollen und Briefen. Nach den Feststellungen des Gerichts übermittelte der PKK-Generalsekretär Adullah Öcalan in Einzelfällen die Mordaufträge direkt über Kuriere zur europäischen PKK-Zentrale in Köln.

Darüber hinaus wurde aber auch die europäische Führungsebene der PKK selbst aktiv. So beschloß etwa das PKK-Zentralkomitee (ZK) Anfang 1987 in Duisburg und Köln, den Kampf gegen die kurdische Konkurrenzorganisation „Komkar“ zu forcieren. Dazu wurden regelrechte Todeslisten von „Komkar“-Funktionären erstellt. Hasan Güler wurde vom Gericht u.a. zu lebenslanger Haft verurteilt, weil er die Ermordung des Komkar-Funktionärs Ramazan Adigüzel im Jahr 1987 geplant habe. Der schon im Jahr 1983 wegen Mordes an einem PKK-Abweichler zu lebenslanger Haft verurteilte Ali Aktas erhielt vom Düsseldorfer Senat wegen eines weiteren Mordes und Mordversuchs noch einmal lebenslänglich. Eingestellt wurde das Verfahren gegen den Angeklagten Kaytan in bezug auf die sogenannte Libanon-Anklage. Seine von der BAW angeklagte Beteiligung an der Hinrichtung zweier PKK-Mitglieder im dortigen PKK-Lager könne wegen des libanesischen Amnestiegesetzes nicht mehr verfolgt werden, befand das Gericht. Walter Jakobs

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