Bremensien (2): Hexensalben
: Ein sagenhafter Zaubermeister

■ Dem Giftschrank entnommen: Will-E.Peuckerts Sammlungen

Bis in die schrägen Abseiten bremischer Geschichte tauchten sechs StudentInnen der Universität – und förderten einige Kuriositäten zutage. In einer kurzen, sechsteiligen Serie „Bremensien“ stellen die KulturwissenschaftlerInnen den LeserInnen der taz ihre Fundstücke vor.

Wer würde heute noch an eine Salbe glauben, die den Traum wahrmachte, Menschen fliegen zu lassen? Das war vor 34 Jahren anders. Damals kam der Volkskundler Will-Erich Peuckert, 1895 in Breslau geboren, nach Bremen, um vor der Historischen Gesellschaft im Focke-Museum einen Vortrag zu halten. Sein Thema: Die Bremer Volkssagen als historische Quelle. In sagenhaften Angelegenheiten galt Peuckert als Meister, hatte er doch nach dem Krieg das volkskundliche Seminar der Universität Göttingen mit aufgebaut. Und war er doch erst vor kurzem von der Bremer Regierung beauftragt worden, eine Sammlung auch der Bremer Sagen herauszugeben. Daran nämlich mangele es, hatte Peuckert bei seinen Studien festgestellt. Das einzig bekannte, bis dato gehandelte Buch Wagenfelds von 1845 galt unter Wissenschaftlern als nicht handfest.

Doch Will-Erich Peuckert, der schon 1923 seine erste Sammlung „Schlesische Sagen“ veröffentlicht hatte, übertraf die Erwartungen seines wissenschaftlich geneigten Publikums und nutzte die Einladung in Bremen zu mehr als nur zur geschichtlichen Betrachtung: Dem Selbstversuch nie abgeneigt, berichtete Peuckert vor seiner versammelten Zuhörerschaft von seinen Experimenten mit einer sogenannten „Hexensalbe“. Allerdings – wie dem findigen Forscher das Rezept für den Aufstrich in die Hände geriet, das ist bis heute ein Geheimnis. Lediglich die allgemeinen Quellen seines Wissens machte er publik. Während seines Vortages referierte er, daß Frauen in der Zeit der Hexenverfolgung ihren Folterern unter Torturen dieses Rezept gestanden hätten. Die Bestandteile der giftigen Pflanzen Fingerhut und Bilsen- kraut seien darin verrührt, das gab Peuckert noch preis. Und daß, wer sich mit dieser Flugsalbe einrieb, meinen konnte, zum Blocksberg zu fliegen. Dafür wollte der Meister sich verbürgen.

Eigens zum Zweck der wissenschaftlichen Nachforschungen hatte Will-Erich Peuckert eine Versuchsgruppe ins Leben gerufen. Von Kopf bis Fuß sollen seine Leute sich mit der Salbe eingestrichen haben. Auch wenn sie den Blocksberg wohl nie gesehen haben, so fielen sie doch in einen 36-stündigen, tiefen Schlaf. Währenddessen durchlebten sie wilde Träume von langen Flügen mit Abstürzen und erneutem Auffliegen – bei den meisten Flugsalben-Kostern soll der Traum in einer Liebes-Orgie geendet sein.

Mit nachträglicher Berichterstattung über derartige Erlebnisse, wie vormals in Bremen, hat Peuckert sich jedoch nicht ewig begnügt: Sogar im Fernsehen soll er mit einem Selbstversuch aufgetreten sein und bis weit in die USA hinein Ruhm als Hexenmeister erlangt haben. Das Rezept für die Flugsalbe allerdings wurde bis heute nicht öffentlich. In keinem seiner zahlreichen Bücher, nicht in den „Deutschen Sagen“ von 1961, nicht im „Handwörterbuch der Sage“ und auch nicht in den „Bremer Sagen“, die er 1961 auftragsgemäß herausgab, verriet er mit einen Hinweis die Rezeptur. Seit dem Tod Peuckerts im Jahr 1969 soll sie von einem ehemaligen Schüler verwahrt werden.

So bleibt uns, die wir weiterhin am Boden leben, nur, seine Sagen zu lesen. Sie basieren, trotz aller damaligen Vorbehalte, auf Wagenfelds Buch und auf der Sammlung des Bremer Lehrers Bernhard Rutenberg. Der hatte in Eigeninitiative in seiner Heimat, dem Niedervieland, plattdeutsche Überlieferungen aufgeschrieben und sie Peuckert für die Veröffentlichung zur Verfügung gestellt. Dem garantierte das, einen ausgewogenen Anteil an städtischen und an ländlichen Sagen zusammenzufassen. Insgesamt 515 Geschichten gehören zu seiner Sammlung, darunter auch die bekanntesten, wie die Geschichte der „Sieben Faulen“ und die Gründungssage Bremens, „Die Gluckhenne“. Aber auch viele unbekannte Überlieferungen sind darunter, die für BremerInnen interessant sein dürften. Nadja Niestädt