Ein paar Flügel für Schulen: Schulen im Rampenlicht
Zum dritten Mal ist der deutsche Schulpreis verliehen worden. Zum dritten Mal an eine Schule mit integrativem Konzept. Die Jury setzt damit einen Trend: Gemeinsames Lernen ist "in".
Wo der graue Ball mit dem geflügelten Stuhl stehen wird, kann Kolja wirklich nicht sagen. "Wo ihn jeder sehen kann. Aber das muss das Schulparlament besprechen." Jenes Parlament, das ihn und vier weitere Schüler nach Berlin geschickt hat. Als Abgesandte ihrer Münsteraner Grundschule nahmen sie am Mittwoch den Deutschen Schulpreis entgegen. Er passt in eine Kinderhand und wiegt 100.000 Euro.
Der höchstdotierte deutsche Schulpreis wird alljährlich von der Robert-Bosch-Stiftung ausgelobt, der Nachlassverwaltung des Firmengründers. Die Stiftung hält 92 Prozent der Aktien am Unternehmen, freilich ohne Stimmrecht. Mit ihrem Anteil an der Dividende macht die Stiftung dennoch Politik, in diesem Fall Bildungspolitik. "Gegen die Schulverwaltungen, die rechthaberisch an alten schulpolitischen Vorstellungen festhalten", wie Christof Bosch, Enkel von Bosch senior, in der Laudatio sagt.
Der Preis soll Schulen beflügeln - deshalb die Flügel am Stuhl - "die mit neuen Konzepten und erfolgreicher Praxis begeistern", wie die Stifter blumig verkünden. Ein zwölfköpfiges Auswahlgremium schaut sich in den 14 Schulen um, die in die Endrunde gelangen. Neben Bildungsforschern wie den Deutern der Pisa-Studien Manfred Prenzel und Eckhard Klieme atmet auch der Hausverwalter der Kultusministerkonferenz, Erich Thies, Kreideluft.
Bekanntlich halten die 16 Kultusminister gleich welcher Partei an einer mindestens zweigleisigen "begabungsgerechten" Aufteilung der Schüler nach der Grundschule fest. Und das trotz der überzeugenden Noten, die die Grundschule als "Schule für alle" erst in dieser Woche wieder im nationalen Iglu-Test bekommen hat. Laut der Grundschul-Lesestudie schafft es diese Form, Schüler auf ein hohes Niveau zu heben und zu halten. Erst mit dem Übertritt ins gegliederte Schulsystem klaffen Leistungen und soziale Unterschiede auseinander.
Doch die großen Schwestern der Grundschulen, die Gesamtschulen, überleben als betonierte Mahnmale aus den 70er-Jahren oder als streng limitierte Modellversuche. Bloß keine Strukturdebatte mehr, lautet das Fazit von Christ- und Sozialdemokraten aus den schulpolitischen Grabenkämpfen jener Zeit.
Die Jury lässt sich indes nicht von Tabus abschrecken und hält gemeinsames Lernen offenbar für zukunftsweisend. Die Kür des Hauptgewinners kann als bildungspolitisches Statement verstanden werden. Zum dritten Mal in Folge vergaben die Juroren den Preis an eine Schule, in der Kinder aller Begabungen gemeinsam lernen.
2006 gewann eine Dortmunder Grundschule, die mit einem Ausländeranteil von über 80 Prozent und Kindern aus 20 Nationen darstellt, was mal Multikulti hieß und heute sozialer Brennpunkt. Im vergangen Jahr ging der Hauptpreis an eine Integrierte Gesamtschule in Niedersachsen. Unter anderem, weil dort ein Drittel der Schüler trotz Haupt- und Realschulempfehlung einen höheren Abschluss schafft.
Und nun also die Wartburg-Grundschule im beschaulichen Münster. Sie schaffte vor 30 Jahren zunächst den reinen Vormittagsunterricht ab und wurde Ganztagsschule. Mit der Zeit blieben auch das Sitzenbleiben und Zensuren auf der Strecke. "Noten beschädigen die Kinder", so Schulleiterin Gisela Gravelaar.
Die Kinder sagen Gisela zu ihr. Schüler der Klassenstufen eins und zwei sowie drei und vier lernen gemeinsam im jahrgangsübergreifenden Unterricht. Auch Kinder mit besonderem Förderbedarf, die sonst auf die "Sonderschule" geschickt werden, verteilen sich auf die Lerngruppen. "Wir sind eine offene Schule, denn gute Schule entsteht, wenn viele Menschen zusammenarbeiten", sagt Christiane Wember, Sonderpädagogin.
Die Jury hat dieser Umgang mit Vielfalt beeindruckt, genauso wie die Leistungen der Schüler und die Qualität des Unterrichts. "Eine kinderfähige Schule", hieß es in der Begründung. Schade nur, sagt Wember, dass die Kinder nach der vierten Klasse getrennt würden. Es wäre doch schön, wenn sie bis zur zehnten zusammenblieben. Vielleicht erfüllen ja Bildungspolitiker irgendwann solche Wünsche. Immerhin kommen sie aus Deutschlands bester Schule.
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