: Ein netter kleiner Tritt für Litauen
■ Kohl und Mitterrand fordern Litauens Staatspräsident Landsbergis auf, „eine Zeitlang die Auswirkungen der Parlamentsbeschlüsse auszusetzen“ / Sowjetischer Regierungssprecher Perfiljew äußert sich zufrieden
Paris/Moskau (dpa/taz) - Zum Abschluß ihres Pariser Treffens haben Frankreichs Staatspräsident Mitterrand und Kanzler Kohl an den litauischen Präsidenten Landsbergis ein Schreiben gerichtet, in dem sie dazu auffordern, „eine Zeitlang die Auswirkungen der vom Parlament gefaßten Beschlüsse auszusetzen“. Zur Begründung führen die beiden Staatsleute an, daß die Geschichte eine komplexe Situation geschaffen habe, die sich aus zahlreichen politischen, juristischen und wirtschaftlichen Bedingungen zusammensetze. „Ihre Entflechtung braucht Zeit, Geduld und wird die klassischen Wege des Dialogs einschlagen müssen.“ Kohl und Mitterrand versicherten, die Beschlüsse würden durch dieses Verfahren nichts von ihrem Wert verlieren, da sie „auf einem universell akzeptierten Prinzip, dem der Selbstbestimmung der Völker, basieren“. Präsident Landsbergis hat der Initiative Mitterrands und Kohls positive Seiten abgewonnen. Am Freitag erklärte er, „der Brief ist ein Schritt zur Anerkennung der litauischen Unabhängigkeitsfrage als ein internationales Problem“. Während Landsbergis davon ausging, die litauische Unabhängigkeitserklärung werde durch den Vorschlag der „Aussetzung“ in ihrer Gültigkeit nicht berührt, erklärte eine Sprecherin des Bundespresseamts gegenüber der taz, es gehe auch um die Suspendierung dieser Erklärung.
Litauens Parlament hatte schon am Mittwoch ein Gesetz verabschiedet, das alle Betriebe des Landes von ihren Vertrags- und Lieferverpflichtungen gegenüber der Sowjetunion entbindet. Auch wurden Lebensmittelrationierungen eingeführt.
Während die konservative Opposition Frankreichs die Mitterrand-Kohl-Initiative scharf kritisierte, lobte der sowjetische Außenamtssprecher Perfiljew die beiden wegen ihres „Verständnisses für die Position der Sowjetunion“.
Unterdessen erklärte der sowjetische Ministerpräsident Nikolai Ryschkow gegenüber litauischen Journalisten jedes Entgegenkommen für ausgeschlossen. Es gäbe „keine Zugeständnisse, nichts, keinen Kompromiß“ hinsichtlich der Unabhängigkeitserklärung. Moskau forderte die litauische Führung dazu auf, den Wehrdienst litauischer Bürger in der sowjetischen Armee wieder zu gewährleisten, auf eigene Personalausweise zu verzichten und im Streit um das Eigentum der litauischen KP nachzugeben. „Für alles weitere“, so Ryschkow, müssen wir zu der Situation vor dem 10. März zurückkehren.“
Gorbatschow selbst hatte am Vortag in Swerdlowsk scharf gegen Landsbergis polemisiert: „Wir haben es in Litauen mit einer Regierung zu tun, die Abenteurertum demonstriert und mit der Demokratie spekuliert.“
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