■ Ein deutschfeindlicher Einwurf anläßlich des 3. Oktober: Allseits unrund
Ach, die ewigen Gedenktage, die runden. Ein allseits unrunder ist der 3. Oktober, 6. Jahrestag der Wiedervereinigung, auch schon soundsovielter Jahrestag der Wiederveruneinigung.
Als austriakischer Egoist halte ich die Wiedervereinigung für bedrohlich, die Wiederveruneinigung für erfreulich. Natürlich habe ich das alte österreichische Minderwertigkeitsgefühl: Toll, diese Deutschen.
Die sind ja ganz groß wieder da; Neugroßdeutschland. Hitler hat den Anschluß nur blöd gemacht, militärisch und kriminell. Jetzt aber ist Österreich angeschlossen – wirtschaftlich, währungsmäßig, medial –, auf demokratisch einwandfreie Weise, gewaltlos und europäisch. Ein altmodischer Anschluß, komplett mit Rede vom Balkon der Wiener Hofburg, zahlt sich nicht mehr aus, kein verantwortungsbewußter Staatsmann wird reden. Es versteht sich von selbst.
Gegen die Weltgeschichte kann man nicht Klavier spielen, nicht einmal die so musikalischen Österreicher. Aber wir werden die Deutschen schon demoralisieren, wie bisher, durch Kultur, Fremdenverkehr und das Fernsehen des Herrn Thoma.
Was ist schon der Anschluß des kleinen Österreich an Deutschland, verglichen mit dem Anschluß Europas an Deutschland? Vom „europäischen Haus“ hat als erster Hitler geredet. „Das Reich und Europa“ war ein NS-Lieblingsthema.
Wiederum hat es Hitler blöd gemacht, militärisch und völkermordend. Jetzt scharen sich ums demokratische Reich der Deutschen die Franzosen, Beneluxer, Iren, vielleicht auch Bossis Padanier. Im weiteren Kreis die Maastricht-Maroden. Im nochmals weiteren Kreis die Osterweiterten, Nato-Geschützten.
Apropos Gedenktag. Am 1. Oktober war 50 Jahre Urteilsverkündung im Nürnberger Tribunal. Dem US-Ankläger Robert Kempner gestand Prof. Carl Schmitt, „Kronjurist des Dritten Reiches“, er habe schon vor Hitler die Idee gehabt vom europäischen „Großraum“, deutsch dominiert, aber auf friedliche Weise. „Wie soll das gehen?“ lachte Kempner damals Schmitt aus. Jetzt hat der häßliche Rechte häßlich recht gekriegt. „Die Geschichte macht uns alle zu ihren Narren.“ (Friedrich Engels)
Demoskopen meinen freilich: Weil sich Europa nicht ordentlich fortpflanzt, werde dessen Bevölkerung schrecklich schrumpfen, der deutsche Koloß zum Beispiel von 80 Millionen auf 25 binnen 30 Jahren. Es ist also noch Hoffnung. Günther Nenning
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