: Ein beinahe freundliches Dröhnen
HÖREN UND SEHEN Das Festival MaerzMusik erkundet zu seinem zehnten Geburtstag das Verhältnis von Musik, Bild und Raum. Im Zeitalter digitaler Klangerzeugung wächst das Interesse an der Archäolgie der Musikmaschinen
VON TIM CASPAR BOEHME
Das Café Moskau machte am Freitagabend von außen einen leicht seltsamen Eindruck. In der oberen Etage standen und gingen Besucher scheinbar ziellos umher, hier und da erblickte man vereinzelte Musiker mit Instrument im Anschlag, die ein bisschen an deplatzierte Straßenmusiker erinnerten. Quer durch das Café verteilt spielten Musiker wie selbstverloren, aber nach strengem Ablauf mal in Gruppen, mal für sich, wobei stets mehr passierte, als man vom eigenen Standpunkt aus vollständig erfassen konnte.
„Chroma“ nennt die Komponistin Rebecca Saunders ihr 2003 uraufgeführtes Werk, mit dem die zehnte Ausgabe der MaerzMusik am Wochenende eröffnete. Ihre „Raumcollage für Kammergruppen“, die immer an die Gegebenheiten des Orts angepasst wird, bietet dem Publikum verschiedene Möglichkeiten des perspektivischen Hörens von Raumklang. Die einzelnen Module, aus denen das gut 35 Minuten währende Stück besteht, wechseln beständig ihr Zentrum, ballen sich erst in der einen, dann in der anderen Ecke, vieles geschieht simultan. Es steht einem frei, mit der Abfolge der Ereignisse durch die Räume des gesichtslos renovierten einstigen „Nationalitätenrestaurants“ zu schlendern oder die stetig variierende Tiefenschärfe des Klangs im Sitzen zu verfolgen.
Alltag eines Klavierstimmers
Mit ihrer Komposition gab Saunders eine bezwingende erste Antwort auf die Frage, wie der diesjährige Festivalschwerpunkt „Klang Bild Bewegung“ zu verstehen ist. Dessen eigentlicher Fokus liegt auf dem Verhältnis von Musik und Bild. Die Reihe „Tonspuren“ etwa stellt Filme vor, in denen der Ton eine entscheidende Rolle spielt, wie in „Pianomania – auf der Suche nach dem perfekten Klang“ von Robert Cibis und Lilian Franck. In dieser außergewöhnlichen Dokumentation folgt die Kamera dem Steinway-Klavierstimmer und Tontechniker Stefan Knüpfer, der in seinem Berufsalltag handwerkliches Können mit künstlerischer Fantasie verbindet, um die sehr präzisen Klangvorstellungen von Pianisten wie Pierre-Laurent Aimard zu verwirklichen.
Experimenteller geht es in der Reihe „Neue Musik zu alten Filmen“ zu, in der Komponisten Klassiker der Stummfilmära neu vertonen. So schrieb die Japanerin Misato Mochizuki für das Drama „Die weißen Fäden das Wasserfalls“ ihres Landsmanns Kenji Mizoguchi eine Musik für traditionelle japanische und westliche Instrumente sowie Elektronik, die im Babylon Mitte ihre deutsche Erstaufführung erlebte. Im Ergebnis etwas unausgewogen, näherte sie sich dem düsteren Moraldilemma in entscheidenden Szenen respektvoll durch Stille, komponierte ansonsten eine kunstvoll schwebende, selten aufdringliche Musik, die vereinzelt aber durch vordergründig lautmalerische Imitation des Geschehens wie Pferdegetrappel und Peitschenknallen irritierte.
Am Sonntag durfte man im Radialsystem einen frischen Blick auf die frühe Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts wagen. Der italienische Komponist Luciano Chessa führte dort die „Intonarumori“ (Geräuscherzeuger) des Futuristen Luigi Russolo vor, schlichte Holzkisten mit Schalltrichter, die auf rein mechanischem Wege Klänge zwischen Motorengebrumm, Sirenengeheul und Drehleierzittern von sich gaben. Statt Industrielärm hörte man ein zwar fremdartiges, aber beinahe freundliches Dröhnen und Sirren, das sogar leise Momente gestattete. Chessa hatte die „Intonarumori“ im Auftrag des New Yorker Festivals Performa 09 rekonstruiert – die meisten Werke im Programm stammten gar nicht vom Erfinder Russolo und seinen Zeitgenossen, sondern waren Neukompositionen so unterschiedlicher Künstler wie Pauline Oliveros, Mike Patton oder Blixa Bargeld. Letzterer gab sich bei einer seiner Kompositionen die Ehre als Rezitator eines futuristischen Kochrezepts.
Trotz der begrenzten klanglichen Möglichkeiten war die Aufführung weit mehr als eine historische Bildungsveranstaltung: Am Beispiel der schlichten Geräte konnte man sehr schön nachvollziehen, wie im Zeitalter der allgegenwärtigen digitalen Klangerzeugung das Interesse an Vorformen elektronischer Musik mitunter zu künstlerischen Strategien zwischen Alt und Neu führt.
Mit zirkulären Bewegungen beschäftigte sich schließlich der österreichische Komponist Bernhard Lang in seinem Auftragswerk „Tables Are Turned“, am Dienstag in der Philharmonie uraufgeführt. Der Turntablist Philip Jeck arbeitete sich hier im Dialog mit dem Ensemble Alter Ego am Verhältnis von Differenz und Wiederholung ab: Grundlage bildete ein Stück der Rockband Amon Düül II, das in repetitive Fragmente zerlegt wurde, so als würde jemand eine Schallplatte mit sehr vielen Sprüngen abspielen, bei der er die Nadel ganz allmählich weiterbewegt. Am interessantesten gerieten die Passagen, in denen Jeck und das Ensemble miteinander spielten. Insgesamt wurden einem die 80 Minuten bei diesem Anti-Minimalismus jedoch ein wenig lang.
■ MaerzMusik, bis 27. 3., www.maerzmusik.de