■ Ein Vorschlag wider die grassierende Politikverdrossenheit: Witwenvermittlung
Überall sind wir schon gewesen – Frühstück in Valparaiso, Picknick am Ayers Rock, die Hochzeitsreise auf die Seychellen und zum Eisessen nach Venedig –, aber noch immer gebricht es uns an Weltläufigkeit, fehlt es hierzulande an Einsicht in die Weisheit fremder Völker. Die Inder zum Beispiel, nun gewiß ein Kulturvolk und vor ungeraumer Zeit noch Teil der indo-arischen Volksgemeinschaft, die Inder also haben eine jahrtausendealte Übung darin, ihren lieben Verstorbenen die Witwe als Grabbeilage nachzureichen, sie aufs seuchenhygienischste gleich mit zu verbrennen.
Drei Vorteile
Derlei Entsorgung bietet, mit kühlem Kopfe betrachtet, gleich drei Vorteile auf einmal: 1. befährt der Tote die Lethe nicht mutterseelenallein; 2. wird das Versorgungsproblem elegant gelöst; 3. muß die Witwe sich nicht von übler Nachrede nähren. Eine gemeinschaftsfördernde, nachgerade sinnstiftende Einrichtung, die Witwenverbrennung, aber eben nur im fernen Indien. Wir hier im Abendland, wir sind leider noch nicht auf der multikulturellen Höhe der Zeit.
Was, wiederum nur beispielshalber, zur verhängnisvollen Folge hat, daß Brigitte Seebacher- Brandt über das Deutungsmonopol an ihrem dahingeschiedenen Gatten Willy Brandt verfügt und bislang ungestraft Sätze wie diesen über ihn verbreiten darf: „Das Bild des einen und freien Deutschland lebte immer in ihm.“ Aber Willy Brandt ist tot und kann sich nicht mehr wehren gegen die Heizdecke aus frischgehäkeltem Nationalbewußtsein, die ihm die Erbin unterschiebt, um sich damit vor allem selber zu wärmen.
„Als das Ende nahe war“, erinnert sich Brandts private Pflegeversicherung exklusiv in der Frankfurter Allgemeinen, „dachte ich nach über sein Bild von Deutschland und ob es nicht der Schlüssel sei zu einem der reichsten politischen Leben, die in diesem Jahrhundert gelebt wurden...“
Nein, wirklich, sie kann einem schon leid tun, die Witwe: Sie durfte ja nur die allerletzten Jahre eines „der reichsten politischen Leben, die in diesem Jahrhundert gelebt wurden“, mit diesem Leben verbringen. Von Willy Brandts Widerstandsarbeit gegen Hitler, der Zeit als Regierender Bürgermeister in Berlin, als Außenminister und Bundeskanzler weiß sie nicht mehr als jeder Zeitungs- und Memoirenleser. Erst im Ruhestand fiel ihr der Politiker Willy Brandt in den Schoß.
Das ist bitter, das tut weh, so weh, erst recht, wenn der Weltberühmte, mit dem frau einst Seit' an Seit' spazierte („Seine Franzosenmütze tief im Gesicht und mich fest an der Hand“), nicht mehr durchs gesellschaftliche Leben führt. Da heißt es dann Vorsorge treffen für den Winter und die eigene Person beim Vorwärts, zurück! nicht vergessen.
Zum Ärger des Grafen Lambsdorff und seiner Konsorten läßt unser Sozialsystem niemanden verkommen, und so hat sich auch für Brigitte Seebacher-Brandt jemand gefunden, der ihr über die Trauerzeit hilft: die FAZ macht den Witwentröster. Wie am Börsenplatz Frankfurt nicht weiter überraschend, ist das Joint-venture ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Für teuer Geld treibt die FAZ Frau Seebacher-Brandt, zur Pfingstochsin aufgeputzt, mitten hinein in die politische Debattenlage; die Witwe wird dafür vor der Einsamkeit bewahrt, sie bleibt im Gespräch.
Mit wenig Recht, aber seinem angeheirateten Namen, erklärt Frau Seebacher allen, die dafür gut zahlen, daß der SPD, anders als ihrem verewigten Gatten, der rechte Begriff von der Nation fehle, daß die Partei sich dem Kommunismus gegenüber zu weich verhalten habe, daß die Sozis also schlicht das sind, was sie schon immer waren: vaterlandslose Gesellen.
Besonders originell ist das nicht, was die Witwe da zusammenfabuliert. Ihre Vorwürfe laufen auf einen einzigen hinaus, den heute nicht einmal mehr Helmut Kohl erheben würde: daß die SPD nicht die CDU ist. Aber Willy Brandt sel. Wwe. wird ja nicht für Originalität bezahlt, sondern dafür, daß sie SPD-Mitglied, ja sogar die halbwegs trauernde Hinterbliebene des Großen Vorsitzenden ist. Außerdem haben wir Wahlkampf. Auch beim besten bösen Willen ist die öffentliche Verschuldung nicht mehr den Sozis anzulasten. Totaler Ausfall. Ernsthaft droht die Gefahr, Kohl und Schäuble und die CDU könnten es diesmal nicht mehr reißen. Scharping und die Grünen – nicht auszudenken! Was wird aus unseren Zweitwägen und Drittwohnungen? Da heißt es wie früher in die Hände und auf den anderen gespuckt.
Der älteste Hut
nach dem Zylinder ist bekanntlich die kommunistische Weltverschwörung. Und jetzt, wo es den Kommunismus nicht mehr gibt, führen erst recht alle Wege nach Moskau oder doch wenigstens in die Schorfheide.
Dort nämlich ist Herbert Wehner, wie die Witwe der FAZ anvertraut hat, im Mai 1973 mit Erich Honecker zusammengetroffen. Dieses Geheimnis hat die Freizeit- Historikerin aus 43 Seiten mit Brandts „Notizen zum Fall G“ geschöpft, die der hohe Erblasser ihr angeblich besonders ans Herz legte. So geheim war dieses Treffen vor über zwanzig Jahren, daß alle davon wußten, nur die Witwe nicht. Aber die liest ja keine Zeitungen, sondern ihren privaten Kaffeesatz.
In ihrem steten Bemüh'n, posthum vom Toten doch noch mehr für sich zu erobern, hat die Witwe jetzt die Ostpolitik entdeckt. Mit der Ostpolitik, das wissen die Leser der FAZ schon lange, hat die SPD den Kommunismus am Leben erhalten. Wenn sich jetzt noch herausstellen sollte, daß die SPD mit der damaligen DDR paktiert hat, dann ist sie nach bewährter Weise unser Unglück. Eifrig wie je ist die FAZ als Endlagerstätte für Frau Brigittes Geschichtsklitterung dabei.
Allerdings fehlte Frau Brigitte damals bei der Union der festen Hand, beim Männerbund Brandt- Wehner-Schmidt. Sie war nicht dabei, als Herbert Wehner 1973 bei seinem Moskau-Besuch Bundeskanzler Brandt beschimpfte („Der Herr badet gern lau“), sie war nicht dabei, als Günter Guillaume enttarnt wurde, sie war schon gar nicht dabei, als Schmidt und Wehner im Mai 1974 den führungsschwachen Brandt abservierten. Dennoch weiß Frau Brigitte alles besser, denn nur sie (und die FAZ) verfügt über die Kritzeleien des Verblichenen, die eine Verschwörung zwischen den Alt- und Uraltkommunisten Wehner und Honecker nahelegen.
Die vaterlandslosen Gesellen erweisen sich, obwohl seit Kaisers Zeiten schärfstens observiert, als Landesverräter. Wehner? Klar doch, Stasi-Mann. Wienand? Der sowieso, und wenn nicht Stasi, dann KGB. Fragen Sie nur Frau Brigitte, die weiß Bescheid. Es genügt ihr nicht, daß sie Willy Brandt ins Grab gebracht hat, sie muß sich noch nachträglich an ihm vergehen. Ihre konspirative Wichtigtuerei ist ein ungewöhnlicher Fall von Unzucht mit Abhängigen, denn der Tote kann sich, wie gesagt, nicht mehr wehren. Auf den Tag genau ein Jahr nach der Wiedervereinigung habe man bei Willy Brandt die Todeskrankheit diagnostiziert, „die Krankheit sei, so die Auskunft, ein Jahr alt“. Wenn Willy Brandt schon für Deutschland gefallen ist, sollte sich seine geschwätzige Witwe nicht lumpen lassen. Eine Witwenverbrennung mit allen militärischen Ehren hat auch so ihre Vorteile. Willi Winkler
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