Ein Viertel legt sich mit Immobilienkonzernen an

In einem benachteiligten Bremer Stadtteil kämpfen Nachbar:innen gemeinsam gegen fehlerhafte Jobcenterbescheide und undurchsichtige Nebenkostenabrechnungen. Das Ganze nennen sie Stadtteilgewerkschaft

Unterstützen sich gegenseitig: Aktive der Gröpelinger Stadtteilgewerkschaft Foto: Solidarisch in Gröpelingen

Von Liz Mathy

Ein Freitagnachmittag im Spätsommer in Bremen-Gröpelingen: Vor einem Eckhaus stehen und sitzen Menschen auf dem breiten Bürgersteig, man spricht sich mit Vornamen an. Es gibt Kaffee mit Hafermilch in bunt zusammengewürfelten Bechern, Zimmerpflanzen in Einmachgläsern dekorieren die Tische. Die „Stadtteilgewerkschaft Solidarisch in Gröpelingen“ hat zum wöchentlichen Treff vor ihrem Ladenlokal in der Liegnitzstraße eingeladen.

Die Stadtteilgewerkschaft ist keine Gewerkschaft im gesetzlichen Sinne, vertritt also keine Ar­beit­neh­me­r:in­nen­rech­te und handelt keine Tarifverträge aus. „Wir thematisieren alle Bereiche, die im Leben der Menschen in Gröpelingen vorkommen“, sagt Sina, die sich seit ein paar Jahren bei Solidarisch in Gröpelingen engagiert. Aber Probleme mit der Arbeit gehörten eben auch dazu.

Viele Menschen im Stadtteil, aber auch in anderen Teilen Bremens, kennen die vor vier Jahren gegründete Stadtteilgewerkschaft, weil sie sich regelmäßig mit großen Immobilienkonzernen wie Vonovia anlegt. Der ist gerade Mehrheitsaktionär beim Konkurrenten Deutsche Wohnen geworden und damit der größte europäische Immobilienkonzern.

Es gebe ein Mietenkomitee, in dem man sich gemeinsam mit Betroffenen gegen undurchsichtige Nebenkostenabrechnungen und den schlechten Zustand vieler Wohnungen gewehrt habe, erzählen Sina und ihre Mitstreiter:innen. „Vielen Menschen in Gröpelingen geht es ähnlich“, sagt Sina. So würden hier viele zur Miete wohnen und hätten damit ähnliche Probleme: etwa, dass Ver­mie­te­r:in­nen Schimmel in den Wohnungen nicht beseitigten.

Gröpelingen ist seit dem Ende der Werften einer der abgehängten Bremer Stadtteile, gelegen am nordwestlichen Ende der Stadt an der Weser. Laut dem Statistischen Landesamt Bremen haben die Menschen in keinem anderen Stadtteil so wenig Wohnfläche zur Verfügung. Und nirgendwo in Bremen sind so viele Menschen erwerbslos.

Deshalb gehört auch die Auseinandersetzung mit dem Jobcenter zur Arbeit von Solidarisch in Gröpelingen. Gemeinsam würde Widerspruch gegen dessen Bescheide beim Sozialgericht eingelegt und auch einstweilige Anordnungen bei Gericht würden beantragt. „Manchmal muss man echt kämpfen“, sagt Sina.

Ihre Mitstreiterin Holly kennt die Kämpfe der Ratsuchenden aus eigener Erfahrung. Aufgrund ihrer eigenen Migrationsgeschichte und einem jahrelangen Ringen mit Behörden weiß sie, wie es ist, Probleme mit der Ausländerbehörde zu haben, mit der Leistungsbeantragung oder bei der Suche nach Sprachkursen. „Die Ämter sollten uns eigentlich bei unserer Arbeit unterstützen“, findet Holly. „Wir machen hier immerhin die Hälfte ihres Jobs.“

Angefangen habe die Stadtteilgewerkschaft mit Rechtsberatung und Hausaufgabenhilfe, ganz ohne eigene Räumlichkeiten, erzählt Sina. Nach etwa einem halben Jahr sei es möglich gewesen, aus den Räumlichkeiten des Quartiersmanagements aus- und in den eigenen Stadtteilladen einzuziehen. Das sei den Aktiven wichtig gewesen, um wirklich unabhängig zu sein. Aus diesem Grund finanziere sich die Stadtteilgewerkschaft auch ausschließlich aus privaten Spenden. Einen festen Mitgliedsbeitrag gebe es nicht. Zu unterschiedlich sei die finanzielle Situation derjenigen, die hier Hilfe suchen und anbieten. Auch als Verein habe man sich nicht eintragen lassen.

„Die Ämter sollten uns bei unserer Arbeit unterstützen“

Holly, Beraterin

Neben dem Freitagstreff gibt es in der Liegnitzstraße Filmabende und Grillfeste. Man gehe gemeinsam auf Demos, wie zum Beispiel kürzlich zum Klima­streik, sagt Sina. Im August hat die Gewerkschaft zudem das erste Mal eine Vollversammlung organisiert, durch die man die bisher relativ lose Organisation der Mitglieder verfestigen will.

Diese solle nun alle sechs Wochen stattfinden, erzählt Mohammad, der bei der Versammlung das Gesagte auf Arabisch und Kurdisch übersetzt hat. Auch Übersetzungen ins Spanische, Persische und Englische habe es gegeben. Er ist vor fünf Jahren aus Syrien nach Deutschland gekommen und sei seit seiner Schulzeit regelmäßig bei Solidarisch in Gröpelingen, erzählt er.

Die Aktiven sind froh, dass sie sich jetzt wieder treffen können. „Corona hat schon reingehauen“, sagt Sina. „Die Veranstaltungen und Aktivitäten, durch die wir mit den Menschen in Kontakt gekommen sind, waren auf einmal nicht mehr möglich.“ Deshalb hat man sich entschieden, eine Stadtteilzeitung herauszugeben, durch die Erfahrungen und Gefühle der Menschen in Gröpelingen während der Pandemie geteilt werden sollten, um der Vereinzelung entgegenzuwirken. „Das ist eine besonders harte Situation, die entsteht, wenn man zu fünft mit Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung lebt und noch dazu die Spielplätze gesperrt sind“, sagt sie. Man habe Interviews mit Grö­pe­lin­ge­r:in­nen geführt und die Zeitung im Viertel verteilt.

Der Besuch bei Solidarisch in Gröpelingen endet, als die Be­ra­te­r:in­nen zum Plenum verschwinden, für das Holly einen Karottenkuchen mitgebracht hat. Es gehe gerade darum, die Beratung etwas umzustrukturieren. Sie solle mehr ein Beratungscafé werden, bei dem sich alle gegenseitig helfen, sofern es nicht um besonders komplizierte oder sensible Themen gehe, erzählen Sina und Holly. Damit soll die Trennung zwischen Unterstützenden und Unterstützten weiter aufgeweicht werden, die man bei Solidarisch in Gröpelingen ohnehin nicht klar ziehen könne.