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Archiv-Artikel

Ein Traum von Skandinavien Kommentar von Ulrike Herrmann

Was ist gerecht? Diese Frage bewegt die SPD mal wieder, stehen doch im März drei Landtagswahlen an. Und die Frage drängt sich auf: Denn auch im letzten Jahr sanken die Bruttolöhne wieder, während die Wirtschaft weiter wuchs.

Erstaunlich jedoch: Diese materielle Ungerechtigkeit kommt bei der SPD gar nicht mehr vor. Für Parteichef Matthias Platzeck stellt sich die „soziale Gerechtigkeitsfrage des 21. Jahrhunderts“ neuerdings ganz anders dar – er fordert nur noch „gute und gleiche Bildungschancen für alle“.

Nun ist gegen Bildungsgerechtigkeit nichts zu sagen; auch SPD-Großvater Willy Brandt hat dieses Ziel schon verfolgt. Neu ist jedoch die Ausschließlichkeit, mit der die SPD hofft, dass Bildung zu sozialer Gerechtigkeit führt.

Wenn alle Kinder früh in der Kita lernen, so die Idee, dann wäre der Staat überflüssig: Jeder sorgte für sich selbst, wäre Unternehmer in eigener Sache. Deutschland würde zum Land der „Zupacker“ – geführt von einer SPD, die Chef Platzeck in „eine Partei der Zupacker“ umgetauft hat. Dieses Programm nennt Platzeck zwar „linke Mitte“. Doch faktisch ist es die CDU, die ebenfalls nur auf Bildung setzt. „Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“, dieser Unions-Slogan passt auch auf die SPD.

Die SPD versucht dem traditionellen Klassenkampf zu entkommen, indem sie die Klasse der Arbeitnehmer zu Bildungsunternehmern umdefiniert: Jeder kann Chef sein – in einem Betrieb namens Kleinfamilie, die ihre Kompetenzen meistbietend vermarktet.

In dieser schönen neuen SPD-Welt ist es für Platzeck überflüssig, „sozialnostalgisch“ an den „unlösbar gewordenen Sicherheitsversprechen von vorgestern“ festzuhalten. Was er genau opfern will, ist unklar: die Rentenversicherung? Die Arbeitslosenversicherung? Seine Verweise auf „Skandinavien“ helfen wenig. Denn dort werden hohe Bildungsstandards auch mit materieller Gleichheit verbunden.

In Platzecks „Land der Zupacker“ hingegen soll Bildung ausreichen, um Macht, Prestige und Besitz zu verteilen. Er scheint den amtlichen Armuts- und Reichtumsbericht nicht zu kennen. Der konstatiert: Wer Kapital besitzt, wird reicher – die Lohnabhängigen stagnieren im besten Fall. Diese Verteilungsfragen werden die SPD noch einholen.