: Ein Stück Gewalt
Seit vier Monaten lebe ich als Teilnehmerin des Erasmus-Studenten-Austauschprogramms hier in Berlin, seit eineinhalb Monaten in der Levetzowstraße, in der sich ein Denkmal befindet. Es ist den Berliner Juden gewidmet, die von diesem Punkt aus nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden.
[...] Der Zweck des von der EU gestifteten Erasmus-Programms ist es, nicht nur Hochschulausbildungen für Studenten wie mich zu ermöglichen, sondern auch eine vielfältige persönliche, europäische und nationale Identität zu vermitteln. In meinem Fall gibt es noch eine zusätzliche Komponente mit der ich mich hier in Deutschland auseinandersetzen muß, nämlich: meine jüdische Identität.
Es sagt viel über die Geschichte Spaniens und Deutschlands aus, daß ich meine jüdische Identität hierzulande und zum ersten Mal ernsthaft entdecke. In Spanien ist der Verlust jüdischer Kultur nicht mehr zu spüren, hier überall.
Als Teil dieser Auseinandersetzung habe ich ab und zu Blumen neben das Denkmal in meiner Straße gelegt. Jedesmal sind sie kurz danach verschwunden. Am Anfang versuchte ich, nicht beunruhigt zu sein und dem Vorfall keine Bedeutung beizumessen. Aber die letzten beiden Male waren die Blumen abgeschnitten, auseinandergerupft und auf den Boden geworfen. Warum?
Mögen andere Leute dies als eine Banalität bezeichnen, für mich ist es keine. Aus meiner Sicht handelt es sich um ein Stück Gewalt, das meine wachsende Identität als Europäerin, Spanierin und Jüdin mitprägen wird. Wir alle wissen, daß dies kein Einzelfall ist. Wir alle wissen, daß viele Identitäten auf diese Art täglich geprägt werden.
Ich will meine Stimme erheben gegen die Respektlosigkeit, gegen die Gleichgültigkeit, gegen die Intoleranz und ich möchte die Möglichkeit haben, Blumen in der Öffentlichkeit hinzustellen, um meiner Ehre Ausdruck zu verleihen. Miriam Valle Mora Quilónn
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