■ Ein Sonntagsausflug in fremde Sprachgebiete: Simulation Overdrive
Freilich gab es Zeiten, da der Weg zum Popstar einem jeden offenstand, der die Gitarrengriffe c, f und e leidlich beherrschte und näselnd sich bemühte, den richtigen Ton vokal nicht mehr als nötig zu verfehlen. Doch seitdem hat sich mancherlei geändert. Selbst ein fingerflink gegriffener D7 oder eine famos geschrubbte Barréfolge reichen längst nicht mehr aus, um in den Olymp der Hitlieferanten emporzusteigen. „It's a long way to the top, if you wanna rock'n'roll“, sangen AC/DC beizeiten, und die einschlägig versierten freundlichen Pannenhelfer wußten durchaus, was sie da zusammentexteten.
Voraussetzungen
Will man das Musikgeschäft ernsthaft betreiben und die Chose eher kurz- als langfristig in die Gewinnzone führen, sollte sich der Instrumentalist rechtzeitig einen Endorsementdeal sichern. Zu diesem Behufe schaut man flugs nach, welcher Herstellername auf dem bevorzugten Instrument geschrieben steht. Eben diese Firma macht man dann ausfindig und bittet darum, endorsed zu werden. Wird dieser Wunsch abgeschlagen, wechselt man noch am selben Tag die Marke und wiederholt das Verfahren, bis der Deal steht.
Gitarre
Gitarristen, so sie nicht ohnehin bereits mit virtuell generiertem Material arbeiten, sollten in jedem Falle die Anschaffung einer elektrisch verstärkten Axe erwägen. Die unplugged-Masche ist ausgeleiert, der gegenläufige Trend absehbar. Zur E-Gitarre gehört unverzichtbar ein Amplifier, kurz Amp. Die Kollegen von der Fachrichtung Heavy Metal benötigen gar mindestens drei Dutzend Amps, die von den Stagehands auf der Bühne zum Ampire State Building gestapelt werden. Ohnehin wird sich der Könner über kurz oder lang nicht mit einer einzigen Klampfe zufriedengeben. Doch auch bei beschränkten Mitteln ermöglichen multieffektive Guitar- Synthesizer eine unendliche Vielzahl von Soundvariationen – je nach Gutdünken triggert der begabte Solist seine Preset-Tones an und wählt, beispielsweise zwischen Compressor, Wah Wah, Preamplifier, Overdrive, Distortion, Amp Simulator, Delay oder Reverb.
Bass
Bassisten standen in den Golden Years of Rock'n'Roll zumeist im Schatten exaltierter Gitarrenvirtuosen, hielten ihr Sustain und sich selbst im Bühnenhintergrund, begnügten sich mit ihren vier Saiten und wiegten bedächtig den oftmals mähnenbehangenen Schädel (Bill Wyman). Auch hier hat sich einiges verändert. Obwohl ein Vintage Finish schwer en vogue ist, verlangt doch die Anpassung an zeitgenössische Standards mindestens fünf, am besten sechs Saiten, die vollends beherrscht sein wollen, ebenso wie die seriell, parallel oder singlecoil betriebenen Humbucker und die magnetischen Bartolini- Pickups, zu denen sich nicht selten ein Scalloped Fingerboard gesellt, das in der Billigversion oft mit einem aktiven 2-Band-EQ auskommen muß, was aber durch die custom-made Kompensationsspule locker ausgeglichen wird.
Schlagzeug
Mit Snare, Bassdrum und Hi-Hat kann sich heute nur noch auf die Bühne wagen, wer bereits über einen langfristigen Plattenvertrag verfügt (Sonic Youth). Alle anderen machen besser mit einer Pad- Station auf sich aufmerksam, die sowieso ganz andere Möglichkeiten bietet als die nostalgischen „Schießbuden“. Im Computerzeitalter wird nicht mehr einfach nur getrommelt – das Schlagzeug ist eine Workstation, gleichsam eine Datenautobahn mit Preset-Arrangements, Kat-Controller und LCD- Display, das das Physical Modelling auch für erstbeste Neueinsteiger mit Trigger-Ambitionen zur leichten Fingerübung werden läßt. Besonders schick und beliebt sind die aktuellen Hexaheads, deren jedes sich als normales Trigger-Pad mit separatem Rim- und Pad-Signal nutzen läßt und im Bedarfsfall auch aus der optisch aufreizenden Pad-Halterung zu lösen ist, um den Paradiddle unter fröhlichem Gejohle des Saalpublikums in Echtzeit durch den Sequenzer zu jagen, bis den Arschlöchern von der Presse der Atem stockt.
Keyboard
Die Touch Screen Electronic ist unter Tastendrückern schon lange kein Fremdwort mehr. Berührungsempfindliche Displays ermöglichen sensible Steuerung auch der im tiefsten Innern versenkten Vocoder-Effekte, die jeden Kurorttanztee unverzüglich in eine Tekkno-Party verwandeln. Hilfreich ist ein um serienmäßige SCSI-Anschlüsse erweiterter Sampler mit Digital-Interface. Bei den Keyboards der aktuellen Generation unterdrückt ein raffiniertes Morphing-Filter einschläfernde Harmoniefolgen und ist selbstverständlich mergebar – wenn nicht, verlangen Sie ihr Geld zurück!
Ausblick
Ist die Band soweit komplettiert, sind alle nötigen Instrumente mitsamt dem erforderlichen P.A.-System beschafft, nehme man einen Informatiker als Roadie unter Vertrag. Die sind derzeit auf dem Arbeitsmarkt billig zu haben, nicht gewerkschaftlich organisiert und können mit dem computerisierten Maschinenpark umgehen, der sich da im Probenraum angesammelt hat. Harald Keller
Der Autor dankt Solo – Fachzeitschrift für Musiker für die Erweiterung seines Wortschatzes.
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