: Ein Schreiber des bezahlten Schweigens
■ „Löwenmutter“ darf Boulevard-Journalisten des merkwürdigen Gebarens zeihen
„Ich fühle mich nicht im üblichen Sinne schuldig“, sagte Christa Ziehn, Vorsitzende des Vereins „Löwenmütter e.V. gegen sexuelle Gewalt an Kindern“. Auf ihr subjektives Moralbewußtsein kam es jedoch gestern nicht an. Im Amtsgericht mußte sie sich der Anklage stellen, daß sie den Journalisten Michael T. zu Unrecht beschuldigt habe, eine skandalträchtige Titelstory gegen Geld nicht veröffentlicht zu haben. Auf den gegen sie ergangenen Strafbefehl über 900 Mark hin hatte die 54jährige Einspruch eingelegt.
Der Inhalt der angeblich unterschlagenen Titelstory für das Boulevard-Blatt Auf einen Blick des Heinrich Bauer Verlags war in etwa folgender: Der bekannte Drehbuchautor Krystian M. wurde 1992 von der Tagesmutter sowie der leiblichen Mutter seines Sohnes beschuldigt, sich an dem damals Vierjährigen vergangen zu haben. Ein Verfahren der Mutter gegen ihren geschiedenen Mann blieb allerdings ergebnislos.
T. hatte den Fall begleitet; kurz vor dem Erscheinen seiner Story machte er jedoch einen Rückzieher; die Anwälte M.s hatten dem Verlag mit Klagen gedroht. Christa Ziehn nahm an, daß sowohl die Tagesmutter als auch T. von M. Schweigegeld bekommen hatten. Sie unternahm jedoch nichts, bis sie Ende 1994 einen Programmhinweis in einer Zeitung las: Ein Fernsehspiel M.s wurde angekündigt, in dem er offenbar seine eigene Geschichte unter dem Motto „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“ darstellte.
Aufgebracht schickte die „Löwenmutter“ ein Fax an verschiedene Nachrichtenredaktionen, in dem sie T. als Journalisten bezeichnete, der „länger als ein Jahr recherchierte, den fertigen Artikel dem beschuldigten Vater des Kindes präsentierte und vermutlich für die unterbliebene Veröffentlichung seiner ,Titelstory' eine beträchtliche Summe kassierte“.
Nein, Beweise habe sie nicht, gab sie zu. T., der, obwohl als Zeuge geladen, sich die Freiheit genommen hatte, Ziehns Aussage aus dem Publikum heraus zu verfolgen, gab sich recht selbstsicher: Geld habe er zwar bekommen, aber nur das branchenübliche Ausfallhonorar. Richter Siegfried Hübner befand nicht, daß das Fax der „Löwenmutter“ eine „üble Nachrede“ im Sinne des §186 Strafgesetzbuch darstelle. Vielmehr könne es als Meinungsäußerung durchgehen und genieße mithin Rechtsschutz: Freispruch. „Ausnahmsweise“, sagte er nicht ohne Vergnügen, „ist in diesem Fall der Journalist das Opfer einer Äußerung und nicht der Bürger.“ Ulrike Winkelmann
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