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Ein Schichtenproblem

betr.: „Vom Bildungsverlierer zum Arbeitslosen“ (Migration und Bildung), taz vom 16. 3. 01

Natürlich geht der „Schulalltag vom deutschen Schulwesen aus, in dem der Normalschüler Deutsch“ spricht, von welchem denn wohl sonst? Wenn ich ins Ausland ziehe, muss mir doch wohl klar sein, dass ich mich mit der Landeskultur und der Sprache beschäftigen muss, wenn ich dort erfolgreich leben und arbeiten will. Natürlich ist die jeweilige Landessprache die Voraussetzung für eine erfolgreiche Integration. [...] Mir geht der Hut hoch, wenn ich die auf Mallorca lebenden Deutschen höre, die stolz verkünden: „Hier kann ich so deutsch sein!“ Ebenso geht mir allerdings der Hut hoch, wenn ich erlebe, dass eine Gruppe der in Berlin lebenden Türken, die mittlerweile in der dritten Generation hier sind, sich isolieren und die ihnen gemachten Angebote nicht wahrnehmen. Warum besuchen die Mütter nicht die Deutschkurse? Warum nehmen sie nicht an unseren Elternabenden teil? Warum dürfen ihre Kinder (vorwiegend die Mädchen) nicht mit auf Klassenreise? Warum besuchen viele dieser Kinder keine Kindertagesstätte? Warum bleiben unsere Deutsch-Förderkurse so erfolglos, obwohl an unserer Schule dafür vier LehrerInnen zur Verfügung stehen? Und warum distanzieren sich die türkischen Mittelstandseltern von ihren eigenen Landsleuten? Es ist nicht allein die fehlende Sprachkompetenz, sondern das Problem einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht. [...]

Seit langem fordern wir, dass Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen anerkannt werden, die kostenlos sein sollten. Schließlich gibt es auch kein Schulgeld. Klar ist auch, dass Deutschland in der pädagogischen Betreuung von Kindergartenkindern in Europa ganz hinten rangiert. Es ist die Aufgabe der Politik, das zu verändern. Aber ist es nicht vor allem auch die Aufgabe der ausländischen Vereine, Organisationen, des türkischen Fernsehens und der Intellektuellen, ihre Landsleute aufzuklären und ihnen die Notwendigkeit von Bildung zu vermitteln? Ihnen klarzumachen, dass sie sich am öffentlichen Leben beteiligen müssen, wenn sie sich nicht selbst ausgrenzen wollen?

RENATE LAUZEMIS, Berlin

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