: Ein Rohr zwischen Rost und Chrom
Dort, wo der ganze Dreck herauskommt, entzünden sich Umweltdebatten besonders schnell. Kaum ein Artikel über Kohlendioxid kommt ohne Abbildung verrußter Endrohre aus. Trotzdem ist der Auspuff – technisch wie ästhetisch – vorerst nicht totzukriegen. Hinweis auf einen eisernen Fetisch und Mythos
Der „Auspuff“ ist ein verkürzender Begriff für das Rohrleitungssystem der Abgasanlage eines Verbrennungsmotors und besteht normalerweise aus Abgaskrümmer, Hosenrohr, Vorschalldämpfer, Mittelschalldämpfer, Endschalldämpfer und Endrohr – Letzteres ist in der Regel das einzig sichtbare Bauteil. Das gilt auch für Motorräder, wo dem Endrohr, im Gegensatz zum Automobilbau, nicht nur ein wichtiger technischer, sondern auch ein ästhetischer Zweck zugemessen wird. In frühen Jahren führte der (stets verchromte) Auspuff die Abgase meistens parallel zum Boden nach hinten, wo er gerne in einer Flosse endete (Harley, Guzzi). Weil es immer zuerst der Auspuff ist, der im Gelände oder bei engen Kurven im Weg ist, gab es zu Beginn der Siebzigerjahre erste Experimente, das Rohr hochzuziehen und noch über der Nummernschildhöhe enden zu lassen (sogenannte Scrambler-Modelle) – eine Bauweise, die das Endrohr optisch quasi verschwinden lässt und heute noch bei Enduros üblich ist. Anders als beim Auto wird auch zur Leistungssteigerung am Auspuff herumgeschraubt. So blieb die sechszylindrige Benelli Sei mit ihren sechs Auspuffrohren (für jeden Zylinder eine) ein optischer Sonderfall, effizienter und beliebter sind Sechs- oder Vier-in-eins-Anlagen. Bei den K-Modellen von BMW ließen sich 750er-Dreizylinder von den 1.000er-Vierzylindern nur von der drei- bzw. viereckigen Form ihrer „Tüten“ (oder auch „Töpfe“) unterscheiden. Derzeit wirbt Moto Guzzi für sein Modell „Griso“ mit „den dicksten Endschalldämpfern“ ever. FRA
von CLEMENS NIEDENTHAL
In den Neunzigerjahren hatte der Volkswagenkonzern den Auspuff abgeschafft. Zumindest war für seine Umwelt nichts mehr von ihm sichtbar. Ob beim Golf IV, beim Polo und selbst bei den prestigeträchtigeren Audi-Modellen: Die Endrohre krümmten sich irgendwo unterhalb des Fahrzeuges, kurz vor dem hinteren Stoßfänger, zu Boden. Ganz ähnlich bei Toyota, Fiat, Ford und sogar der Mercedes-A-Klasse. Man musste sich schon auf die Straße legen, um einen Blick auf das technische Endstück des Fahrzeugs zu werfen. Aber wer wollte das schon.
Mit der Jahrtausendwende war der Auspuff plötzlich wieder da. Und so hatte – wir ahnen es – der kurzzeitige Verzicht auf die Visualisierung des Auspuffs, dieser doppelten Körpermetapher, wenig mit einem schlechten Gewissen gegenüber der Umwelt zu tun. Schließlich kommt aus dem Auspuff nun einmal raus, was die Erde aus der Fassung bringt. Zu tun hatte es vielmehr mit einem guten Gewissen gegenüber dem Automobil. Denn nicht nur Golf IV oder Audi TT verkauften sich 1998 – dem Jahr von Autokanzler Gerhard Schröder – so glänzend, dass die Automobilkonzerne auf all zu plumpe Muskelspiele verzichten konnten.
In der automobilen Krise der Nullerjahre kam der Auspuff nun also zurück. Es entwickelte sich eine feine, in Kennerkreisen – etwa den mittleren Führungsetagen eines Versicherungskonzerns, den Dienstwagenmilieus also – genau studierte Nomenklatur. Die Anzahl und die Positionierung der nun gerne wieder chromverzierten Endrohre verrät wieder ganz genau, was für ein Aggregat unter der Motorhaube schlummert. Bloß ein Vierzylinder? Der große Common-Rail-Diesel? Oder gar ein Turbomotor? Denn auch das ist ein Indiz der Krise: Kaum einer will es sich mehr leisten, den eigenen Status unerkannt durch die Gegend zu fahren. Wenn ich schon 45.000 Euro für eine abschreibungsfähige Mittelklasselimousine bezahlt habe, soll man das bitte auch sehen. Und an dieser Stelle kommt eben wieder der Auspuff ins Spiel. Er ist das kleine distinktionsstiftende Indiz, das an der Ampel um anerkennende Blicke der Passanten heischt und den Fahrer zu einem testosterontrunkenen Kitzeln am Gaspedal reizt.
„Turbo-Rolf“mit 6 Endrohren
Als in den Morgenstunden des 14. Juli 2003 ein Mercedes-Werkstestfahrer eine junge Mutter und ihre zweijährige Tochter bei Karlsruhe von der Autobahn und in den Tod drängelt, kann der flüchtige Täter nur überführt werden, weil sich ein Augenzeuge nicht nur den Fahrzeugtyp, sondern vor allem die wuchtige Auspuffanlage mit ihren sechs Endrohren eingeprägt hatte. „Turbo-Rolf“, wie die Boulevardzeitungen den damals 35-Jährigen Ingenieur taufen sollten, konnte demnach also eigentlich nur die 150.000 Euro teure Zwölfzylinderversion des Mercedes CL-Coupés gefahren haben. Was den Kreis der Tatverdächtigen entscheidend eingrenzen sollte, die Exklusivität seines Fahrzeugs hatte ihn überführt.
Ohnehin sind die Auspuffanlagen der exklusivsten Wagen meist die plumpsten Eindrucksschinder: So hatte die feine englische Automobilzeitschrift Intersection unlängst ihrer Befürchtung Ausdruck verliehen, Passanten könnten das kastenweißbrotgroße Endrohr des Supersportwagens Lamborghini Murcielago mit einem Mülleimer verwechseln. So weit sind Auspuff und Mülleimer ja in funktioneller Hinsicht ohnehin nicht voneinander entfernt. Beide kümmern sich mehr oder weniger redlich um das, was am Ende übrig bleibt. Zu viel ist es in beiden Fällen. Trotz Katalysator hier, trotz Recycling dort.
Und doch ist der Auspuff weit mehr als nur der Nachlassverwalter der automobilen Idee. Er ist genau jene Metaphernmaschine, als die er in diesen Tagen am Pranger steht. Immer sind es Aufnahmen von qualmenden Auspuffrohren, die die Feinstaubdebatte, die Kohlendioxiddiskussionen oder sonstige Verschmutzungen illustrieren. Nie sieht man die eigentlichen „Täter“, einen Motorblock etwa oder eine Einspritzpumpe. Immer ist es der Auspuff, der – pars pro toto – für die Folgekosten der Automobilität haftbar gemacht wird. Ein Motiv der Ökologiebewegung kommt in den Sinn, es ist wiederum ein Zitat aus der Friedensbewegung: Die Blume, diesmal nicht in den Lauf eines Gewehres gesteckt, sondern in den Lauf eines Auspuffrohrs.
Waffe, Phallus, Hinterteil – Assoziationen und Metaphern hält der Auspuff viele aus. „Ich folge einfach nur dem Geruch von Big Ben“, heißt es in Sam Peckinpahs Trucker-Western „Convoy“. Gemeint sind natürlich nicht die Ausdünstungen und Ausblähungen des Fernfahrers Ben, sondern die seines Sattelzugs, der gerade durch die mächtigen Pipes, die vertikal aufgerichteten Auspuffrohre, selbst zu einem Körper mit all seinen Gerüchen, Geräuschen und Vibrationen geworden ist. Und Tom Wolfe, dieser schillernde Chronist gesellschaftlicher Aufbruchstimmungen, nennt den durch den Auspuff gejagten Motorenlärm während illegaler Autorennen im Kalifornien der 1950er Jahre „einen Fanfarenstoß für die Revolution der Teenager und die neue Popkultur“.
Der Auspuff als Resonanzkörper – auch James Dean hatte seinen fabrikneuen Porsche 550 Spyder, den Wagen, mit dem er am 30. September 1955 tödlich verunglücken sollte, mit einer gepimpten Auspuffanlage aufgerüstet. Es geht um den „sound of speed“, und nicht von ungefähr beginnen viele amerikanische Songs des ersten Popjahrzehnts mit der Einspielung von hochgejazzten Motoren- und eben Auspuffgeräuschen.
Nachhilfe im Tonstudio
Heute kümmern sich umgekehrt Sounddesigner und Toningenieure darum, eine angemessene, also verkaufsfördernde Klangkulisse zu inszenieren. Ohnehin sind viele Wagen so leise geworden, dass ihnen sogar ein Säuseln oder Knurren erst künstlich einprogrammiert werden muss. Der Golf R32 etwa – der potente Kompaktwagen mit dem Sechszylindermotor aus der Oberklassenlimousine Phaeton – musste im Tonstudio lernen, nicht ganz so brav wie seine serienausgestatteten Brüder zu klingen.
Bei so viel Simulation und so wenig authentischem Drängeln zu ungezügeltem Lärm (bei weiterhin ungezügeltem Schadstoffausstoß) liegt die Frage nahe, ob man das rasante Vergnügen nicht gleich ganz in die Welt der Playstation III und ihrer hochauflösenden Fahrsimulatoren verlegen könnte – ins „Second Life“, der Umwelt zuliebe.
Zu den letzten Aufrechten, die ihre Auspuffanlagen schamvoll verstecken, gehören die Hybridautos von Toyota und Honda. Auch beim Drei-Liter-Lupo von VW war kein Endrohr in Sicht. Bei den meisten Kleinwagen sowieso nicht. In ihrer Gesamtheit scheint die automobile Gesellschaft jedoch nachhaltig am Auspuff und dem mit ihm verknüpften Gestenrepertoire zu hängen. Obwohl oder vielleicht gerade weil sich die wirkliche Gefahr des ungezügelten Individualverkehrs – bei beständig sinkenden Verkehrsunfallopferzahlen – im Auspuff manifestiert. „Exhaust“ heißt der übrigens im Englischen – und „exhausted“ so viel wie ausgebrannt.