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Ein Raum für sichTeile des Vakuums

■ Jemandem bei der Arbeit zusehen: Anna Oppermanns Nachlaß im Schloß Celle

Man sieht das Pedantische nicht gleich. Anna Oppermanns Installationen wirken immer skizziert, flüchtig, offen. Das gilt auch für „Paradoxe Intentionen (Das Blaue vom Himmel herunterlügen)“, eine Arbeit, die fünf Jahre nach dem Tod der Künstlerin in der Gotischen Halle im Schloß Celle installiert wurde, von kundigen Nachlaßspezialisten. Wie Oppermann ihr „Ensemble“ (A.O.) tatsächlich unter dem strahlend weißen Gewölbe eingerichtet hätte, kann man nicht wissen. Aber die Prinzipien werden kenntlich.

Das Konglomerat aus gestellten und gelegten Bildern und Notizen wächst vom Boden über flache Sockel in die Vertikale; und es ist um eine farbige, rätselhafte „Stelle“ gebaut, die in diesem Fall aus einem rotblauen Bleiglasschränkchen besteht, das von innen beleuchtet ist. Alles andere läßt das Weiß durchschimmern und tendiert zum Farblosen.

Selbst nach zwanzig Jahren kommen einem Zweifel, inwiefern Oppermanns malerischer Zettelkasten noch der Situation des Ateliers verhaftet ist oder schon ins Museum gehört. Sie hatte das Geschick, diesen Zweifel zu nähren; man kommt als Betrachter noch immer auf den Gedanken, das eine oder andere vielleicht „besser hinzukriegen“, also vollenden zu müssen. Es handelt sich um eine Collage von Zitaten: Texte, von Oscar Wilde bis Lyotard, zur Frage der Konstitution von Wahrheit (und der gesellschaftlichen Gestalt der Lüge), die von Hand in Druckschrift geschrieben bildfüllend auf Leinwände gepaßt sind, die stehen oder liegen. Zitate sind aber auch die Bildmotive. Sie zeigen Objekte der Installation (zum Beispiel einen Ausschnitt des Bleiglasschränkchens als blasses Gemälde) oder diverse Zustände aus der Arbeit am Ensemble, die sich bei genauerem Hinsehen als kolorierte Fotografien auf Leinwand darstellen. Allerdings bleibt der verwendete Schwarzweißprozeß verwaschen und schemenhaft.

Selbst die zwei Dutzend SX-70-Polaroids, die immer wieder das vogelartig scharf geschnittene Profil der Künstlerin zeigen, sind nicht eigentlich Selbstporträts, sondern wiederum ein serielles Motiv. Die favorisierten Rückenansichten verstärken das Gefühl, jemandem bei der Arbeit zuzuschauen. Vor vielen Jahren waren ihre Installationen noch einzigartig, ein vager Hinweis auf eine disparate, grüblerische, weibliche Kunst, die an den Grundpfeilern des „Meisterwerks“ sägte, den wie auch immer modern verschlankten Idealen von Stoff und Form. Die Verletzung und Extension des Bildes durch Fontana und Rauschenberg ist im Vergleich noch immer auf die Autorität des Bildes gerichtet.

Was Oppermann begonnen hat, sieht man heute ganz selbstverständlich verwendet in den omnipräsenten Installationen von Paul McCarthy und Mike Kelley (zum Beispiel auf der documenta X), die ebenfalls „das dilettantische Bild“ als Partikel verschrobener Totalcollagen mitführen. Auch der Gebrauch von Sockeln und Lichtern – nicht als Teil einer Präsentation, sondern als Teil des Ganzen – ist ähnlich; die Überblendung von Bild und Text ebenfalls.

Die Celler Installation erinnert an Oppermanns exzentrisches und wirksames Werk, in dem die Enzyklopädie und das Spiegelbild, der Jahrmarkt und die Kirche, der Kinderkram und die Paranoia nah beieinanderliegen. Es operiert mit zu viel und zu wenig, Raffinesse und Art brut. Eine Texttafel wie diese: „Weniger solltest du Schlüsse ziehen aus dem, was ich dir mitteile, sondern aus dem, was ich weglasse...“ ist Teil des Vakuums, das Oppermann zu erzeugen wußte. Man steht da und staunt und weiß nicht so recht, worüber. In die Details gekniet, wird man unruhig, bis man merkt, daß jemand einem beim Betrachten zuschaut. Ulf Erdmann Ziegler

Anna Oppermann: „Paradoxe Intentionen“. Kunstverein Celle, Gotische Halle im Schloß, bis 3. Mai. Katalog, Edition Lebeer Hossmann, Hamburg, 20 DM

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