■ Ein Psycho-Junkie auf dem Psychotherapie-Weltkongreß: „Ich bin optimal frustriert“
taz: Sind Sie therapiesüchtig?
Hans Meier* (33): Sagen wir lieber, ich unterziehe mich einer seelischen Langzeitbehandlung.
Wodurch?
Durch Gesprächstherapie, psychoanalytische Selbsterfahrungsgruppe, themenzentrierte Interaktion nach Ruth Cohen, biodynamische Psychologie nach Gerda Boysen, Bioenergetik in Gruppen- und Einzelsitzungen, Workshops und seit fünf Jahren Psychoanalyse.
Ah ja. Und wie geht es Ihnen?
Durchwachsen.
Die falschen Methoden?
Man wird zunehmend skeptisch. Es erinnert mich an meine letzte Wurzelbehandlung beim Zahnarzt: Es tut immer noch weh. Viel Aufwand, wenig Wirkung.
„Man“ wird skeptischer? Sie haben nach jahrelangen Therapien nicht gelernt, „ich“ zu sagen?
Es ist eben ein ständiger Kampf um die Subjektwerdung.
Wo arbeiten Sie?
Im sozialen Bereich.
Was haben Sie für Probleme?
Depressionen gekoppelt mit Angstzuständen und Störungen des Körpergefühls. Zum Körpergefühl muß ich allerdings sagen: Da hilft am besten simpler Sport.
Der ist auf jeden Fall billiger. Wieviel Geld haben Sie in Ihre Seelenbehandlungen schon gesteckt?
Das möcht' ich gar nicht wissen, sonst wird mir schlecht.
Was haben Sie durch die Therapien über sich gelernt?
Ich weiß natürlich viel besser Bescheid über meine Vergangenheit, auch über meine Kindheit. Am Anfang stand noch die Schuldfrage im Vordergrund. Aber die relativiert sich, und es folgt die Einsicht in die Kontingenz des Lebens.
Und was haben Sie davon?
Das ist das Hauptergebnis meiner Therapieerfahrung: daß ich meine Biographie deutlicher sehe und besser verstehen kann. Ich habe, auch wenn es mir insgesamt nur wenig besser geht, eine um einige Millimeter erweiterte Selbstwahrnehmung. Das ist auf jeden Fall ein Fortschritt. Was leider nicht heißt, daß meine Fähigkeit, alternativ zu handeln, automatisch größer geworden ist.
Welcher therapeutische Ansatz hat am meisten geholfen?
Schwer zu sagen. Vom Preis- Leistungs-Verhältnis gesehen, war die biodynamische Therapie am effektivsten. Bei der Biodynamik geht es darum, die Energien wieder fließen zu lassen und über den Körper an seine Gefühle heranzukommen. Ein weiterentwickelter Alexander Lowen und Wilhelm Reich – von Boysen in sanfter weiblicher Form variiert.
Wie reagiert Ihre Umgebung auf Ihren Psychotrip?
Meine Mutter fragt in größeren Abständen: Willst du nicht bald Schluß damit machen; das ständige Rumwühlen in der Vergangenheit bringt ja doch nichts. Meine Freundin sagt: Das schöne Geld! Und mein Kollege drängt mich, die Therapiestunden endlich in den Feierabend zu legen.
Haben Sie Ihr Leben umgekrempelt?
Wenn sich die Wirkung von Therapie an radikalen Veränderungen im Leben mißt, bin ich wohl therapieresistent.
Hier auf dem Weltkongreß in Hamburg geben sich die verschiedensten Schulen ein Stelldichein. Suchen Sie etwas Neues zum Probieren?
Nein, ich will nur die greisen Gurus noch einmal sehen, bevor sie abdanken.
Ihr spontanes Gefühl, wenn Sie an Ihre Therapien denken?
Ernüchterung.
Ist Ihnen noch zu helfen?
Ein wenig wurde mir ja geholfen. Aber im Moment befinde ich mich eher am Ende meiner Auseinandersetzung mit Psychotherapie. Ich bin sozusagen optimal frustriert. Interview: Bascha Mika
*Name von der Redaktion geändert
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