■ Ein Protokoll: Hexenjagd
In der demokratischen europäischen Republik Kroatien Ende des zwanzigsten Jahrhunderts: Fünf namhafte Journalistinnen und Schriftstellerinnen werden zu Hexen erklärt und auf dem medialen Scheiterhaufen verbrannt. Die Frauen überleben, übergeben den Fall dem Gericht und erwarten nun Gerechtigkeit.
In dem kroatischen Boulevard- Wochenblatt Globus erschien am 10. Dezember 1992 ein Text mit der Überschrift „Kroatische Feministinnen vergewaltigen Kroatien“ und dem Untertitel „Die Hexen von Rio“.
Die fünf Journalistinnen Jelena Lovrić, Rada Iveković, Slavenka Drakulić, Vesna Kesić und Dubravka Ugrešić wurden zu Verräterinnen der Nation erklärt, zu marxistischen Feministinnen sowie Nutznießerinnen des Kommunismus und Postkommunismus. Das alles, weil sie über die serbischen Vergewaltigungen in Bosnien und Herzegowina nicht aus national- chauvinistischer Perspektive schrieben. Dies war beileibe nicht der erste Angriff gegen diese fünf Frauen (und einige andere unabhängige JournalistInnen). So war einige Tage zuvor in allen nationalen Tageszeitungen und im staatlichen Radio ein namentlich nicht gekennzeichneter Bericht vom PEN-Weltkongreß in Rio de Janeiro veröffentlicht worden. Die Namen der fünf Frauen wurden unter den „Fällen“ erwähnt, die die Delegierten des New Yorker PEN-Zentrums „gebrauchen wollten, um den bevorstehenden PEN- Kongreß in Dubrovnik zu torpedieren und die demokratischen Strömungen in Kroatien auf die Anklagebank zu stellen“. Sehr bald kam heraus, daß die Namen der fünf Frauen auf dem Kongreß nirgendwo erwähnt worden waren.
Der namentlich nicht gezeichnete Globus-Text trägt die Unterschrift „Untersuchungsteam Globus“. Hier, sinngemäß, ein typisches Zitat: „Obwohl wenig attraktiv und trotz ihrer theoretischen Ambitionen, fanden sie noch einen Lebensgefährten bzw. Ehepartner: Rada Iveković einen Serben aus Belgrad; Slavenka Drakulić – zweimal einen Serben aus Kroatien; auch Jelena Lovrić – einen Serben aus Kroatien.“ Hier handele es sich um eine systematische politische Auswahl. Weiter beschreibt der Globus die Journalistinnen als „eine Gruppe selbstsüchtiger Frauen mittleren Alters, die ernsthafte Probleme mit der eigenen ethnischen, ethischen, menschlichen, intellektuellen und politischen Identität haben“. Mit dem Erscheinen dieses Artikels begann in den kroatischen Medien eine regelrechte Hexenjagd auf die „antikroatischen Feministinnen“.
Es ist symptomatisch für das politische Klima in Kroatien, daß kein Berufsverband der JournalistInnen, kein nationales Menschenrechtskomitee, keine Partei und keine etablierten kroatischen Intellektuellen zur Verteidigung der fünf Frauen eingeschritten sind.
Das sensationslüsterne Wochenblatt Globus aber wird von den Behörden Präsident Tudjmans gerne angeführt, um die Pressefreiheit unter Beweis zu stellen.
Unterdessen wurde die Redaktion der Slobodna Dalmacija ausgewechselt – der letzten unabhängigen und kritischen Tageszeitung Kroatiens. Diese Gleichschaltung wurde durch staatliche Intervention bewerkstelligt, durch kombinierten ökonomischen Druck und eine aggressive politische Kampagne. Die Auflage der Slobodna Dalmacija sinkt inzwischen rapide, die Zahl der Hexen steigt...
Vesna Kesić, Zagreb
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