: Ein Oberbürgermeister fürchtet um den guten Ruf seiner Stadt
Hanau (ap) – Hans Martin, Oberbürgermeister von Hanau, hat wenig Freude an der Tagesschau: „Ich sehe jeden Abend mit Entsetzen die Nachrichten. Es ist traurig, wie unsere Stadt durch die Medien geht. Ich bin außerordentlich bedrückt.“ Die Transnuklear- Affäre macht dem SPD-Oberbürgermeister der 85.000 Einwohner zählenden Stadt zu schaffen. „Wir hatten nie etwas gegen die Nuklearbetriebe, weil wir sie als saubere, zukunftsweisende Industrie ansahen. Aber alle lernen dazu“, urteilt er heute. Martin spricht von Vertrauensschwund, von einer „nachhaltigen Beeinträchtigung“ der Beziehungen zwischen den Nuklearbetrieben und der Verwaltung.
Hanau ist die Geburtsstadt der Gebrüder Grimm und des Komponisten Paul Hindemith, ist Aus gangspunkt der deutschen Märchenstraße, verfügt mit dem Grimm-Denkmal, Schloß Philippsruhe und dem Deutschen Goldschmiedehaus über touristische Attraktionen. Hanau ist Standort bedeutender Industrien, wobei die Nuklearindustrie weder als Arbeitgeber noch als Steuerzahler an erster Stelle rangiert. Aber die Ballung der Atomfirmen im Stadtteil Wolfgang – hier sitzen die Skandalfirmen NUKEM, ALKEM, RBU, Transnuklear und Hobeg – führte dazu, daß sich die Stadt selbst als „Zentrum des Kernbrennstoffkreislaufes“ feierte. Die nahezu ununterbrochenen Konflikte um die Betriebe, vor allem die jetzige Affäre, haben dazu geführt, daß die Nuklearfirmen das Image der Stadt bestimmen.
„Große Protestaktionen gegen die kerntechnische Industrie gab es in Hanau und Umgebung eigentlich nie“, hieß es 1983 in einem redaktionellen Beitrag des Hanauer Wirtschaftsjournals. Die Begründung wurde gleich mitgeliefert: „Dies ist ohne Zweifel darauf zurückzuführen, daß die Mitarbeiter dieser Unternehmen ... bei Bekannten, Freunden und Verwandten von ihrer Tätigkeit erzählen. So werden durch viele Einzelgespräche Sachinformationen vermittelt und Vertrauen geschaffen.“
Doch das Vertrauen in die Beteuerungen der Nuklearbetriebe hat einen Knacks erlitten. Dazu trug in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Pannen bei den Firmen bei. Diese hätten „das Vertrauen in die Sicherheit doch reduziert“, sagt Martin. Jetzt spricht er sogar von einer „starken Beeinträchtigung“ des Vertrauens. Ob dies aber mehr als „klimatische Störungen“ zwischen Verwaltung und Nuklearbetrieben zur Folge hat, ist fraglich.
Denn der Oberbürgermeister ist zwar der Meinung, daß die Atomenergie auf Dauer „keinen Bestand hat wegen ihrer Gefährlichkeit, weil sich herausgestellt hat, daß Menschen offensichtlich nicht in der Lage sind, ohne Gefährdung der Umwelt mit solch problematischen Stoffen umzugehen.“ Dies könne aber nicht heißen, die Betriebe jetzt zu schließen. Angesichts des Anteils der Atomenergie an der Stromversorgung sei dies nicht möglich, auch fühle er sich den Mitarbeitern der Nuklearfirmen verbunden. Denn von den 3.000 dort Beschäftigten seien „2.900 ordentliche, fleißige, gut arbeitende Menschen“.
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