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Ein Leben im Bettelstatus

■ betr.: "Für die ersatzlose Streichung des 218", taz vom 23.4.90

betr.: „Für die ersatzlose Streichung des § 218“,

taz vom 23.4.90

(...) Seit Jahren müssen wir uns eine penetrante Kampagne klerikaler bis reaktionärer Kreise gefallen lassen, die den schon in der heutigen Form und Praxis schlimmen § 218 weiter drastisch verschärfen wollen. Der „Himmel“ weiß, warum?

(...) In Zeiten wirtschaftlicher Regression werden die Frauen zurück an den häuslichen Herd gedrängt, man spart Arbeitslose statistisch und finanziell. In Zeiten der Hochkonjunktur dagegen wird das Ideal der berufstätigen Mutter mit wachsenden Kinderbetreuungsstätten propagiert.

Gerade in naher Zukunft werden in der DDR massenhaft vor allem alleinstehende Mütter in die Arbeitslosigkeit und dann in die Sozialhilfe gedrängt werden. Wir müssen von hier, vom Westen aus, uns mit den Frauen in der DDR jetzt und in Zukunft zusammenschließen, gemeinsame Proteste und andere Formen des öffentlichen Drucks organisieren. (...)

Entweder Artikel 2,2 wird so „wasserdicht“ formuliert, daß auch die findigsten Juristen es nicht mehr schaffen, befruchtete Eizellen unter „Jeder“ einzuordnen oder - was noch sicherer wäre - die Passage des Verfassungsentwurfes vom Runden Tisch wird übernommen: „Frauen haben das Recht auf selbstbestimmte Schwangerschaft. Der Staat schützt das ungeborene Leben durch das Angebot sozialer Hilfen.“

Neben einer weitgehenden gesellschaftlichen Isolation im häuslichen Bereich erwartet eine werdende Mutter in unserer BRD/DDR-Gesellschaft über die gesamte Entwicklungszeit eines Menschen (ca. 15 Jahre) ein Leben im Bettelstatus entweder gegenüber der Gesellschaft oder dem Lebenspartner. Wir brauchen flächendeckende staatlich finanzierte Kinderbetreuung ab acht Wochen. Das wäre eine wirklich moralische Lösung des Konfliktes. Tatsache ist heute, daß angefangen mit dem § 218 über die mangelnden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bis hin zur Diskriminierung im Beruf die Würde und Selbstachtung der Frauen mit Füßen getreten wird und ihnen die ökonomische Grundlage für sich und das (erwartete) Kind entzogen wird. (...) Als Mutter einer Tochter und im sechsten Monat schwanger sage ich: Der § 218 hat nichts mit Moral zu tun, sondern stellt lediglich eine Manifestation gesellschaftlicher Unterdrückung dar.

Heike Rufeger-Hurek, Bonn

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