Ein Hund für Obama: Der Herrscher als Herrchen
Politiker brauchen den Hund zu Zwecken der Selbstdarstellung und natürlich zur Jagd. Nach Stimmen. Nur der neue US-Präsident hat immer noch keinen.
In seiner Siegesrede in Chicago sprach Barack Obama über vieles, aber kaum ein zweiter Satz ist derart oft in den Medien wiedergegeben worden, wie der, in dem er sich an seine beiden Töchter richtete: "Ihr habt den Welpen wirklich verdient, der mit uns ins Weiße Haus einziehen wird." Sicher gerührt, fragt man sich doch, warum das Versprechen, einen Hundewelpen anzuschaffen, nicht einfach im Kreise der Familie gegeben wurde, sondern vor über 70.000 Anhängern. Die Antwort ist einfach: politisches Kalkül.
Bisher fiel Familie Obama eher durch konsequente Tierlosigkeit auf, deren Grund die Tierhaarallergie von Tochter Malia war. Doch nun, Allergie hin oder her, muss ein Hund angeschafft werden, schließlich ist Daddy jetzt der Präsident der Vereinigten Staaten, schließlich zieht man nun ins Weiße Haus, und beides, Amt und Wohnsitz, verlangt dringend nach einem Hund. So will es die Tradition, und so will es das amerikanische Volk, und Obama zeigt sich als Politiker, der an lieb gewonnenen Traditionen festhält, solange sie ihm dienlich sind.
Seit George Washington, der es im Laufe der Jahre auf sechunddreißig Foxterrier brachte, haben amerikanische Präsidenten Haustiere. Der heute eher unbekannte Chester A. Arthur (Regierungszeit 1881-1885) war der einzige Präsident in dieser langen Reihe, der gänzlich auf sie verzichtete.
Zugegeben, hard news sind das nicht - nur möchten die Amerikaner eben trotzdem gerne wissen, mit wem ihr Präsident seine Privatsphäre teilt. Und damit bekommt das Haustier politische Bedeutung. Die Berichterstattung über die Haustiere im Weißen Haus gehört dort längst zum Alltag der Boulevardblätter, es werden Bücher über sie geschrieben und Filme gedreht. Obama dagegen konnte seinen bisherigen Status als Nichtherrchen geschickt benutzen, um sich auch auf dieser Ebene als Erneuerer zu profilieren.
Anders als Obama hätte John McCain, wäre er Präsident geworden, eine halbe Arche Noah mit ins Weiße Haus gebracht: mehrere Hunde und Schildkröten, eine Katze, ein Frettchen, Papageien. Und genauso, wie im Falle Obamas seine offensichtliche Tierlosigkeit die Möglichkeit zum change unterstrich, muss auch McCains Streichelzoo nicht unbedingt von ungebremster Tierliebe sprechen. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die PR-Berater hofften, ihn auf diese Weise noch stärker in die Nähe seines politischen Vorbildes, des Republikaners Theodore Roosevelt, rücken zu können. Der brachte damals nicht nur Hunde mit, sondern auch Zebra, Löwe, Hyäne und mehrere Bären, wie es das amerikanische Presidential Pet Museum dokumentiert.
Wer das "politische Tier" noch immer für einen philosophischen Begriff hält, der von Aristoteles geprägt wurde, hat eine Entwicklung versäumt, die fast so alt ist wie die griechische Philosophie selbst. Schon Alexander der Große hatte ein Lieblingstier, das er abgöttisch liebte: seinen Hengst Bukephalos. Die Legende erzählt, dass der junge Alexander der Einzige gewesen sei, der imstande war, das nervöse Tier zu reiten. Dafür revanchierte sich das Pferd, indem es ihm mehrmals das Leben rettete und Alexander bis nach Indien trug. Bukephalos soll das erstaunliche Alter von dreißig Jahren erreicht haben, weshalb Alexander als Dank für seine Dienste eine Stadt nach seinem Lieblingspferd benannte: Alexandreia Bukephalos, das heutige Jhelam in Pakistan.
Im selben Maße, in dem das Pferd als Fortbewegungsmittel für Eroberungsfeldzüge später an Bedeutung verlor, gewannen andere Notwendigkeiten an Relevanz: Der eroberte Raum musste gesichert und beschützt werden, anstelle von Ausdauer und Kraft waren nun Attribute wie Wachsamkeit, Schutzinstinkt und Treue gefragt. Für uns Menschen verkörpert kein anderes Tier diese Eigenschaften wie der Hund.
Die Koexistenz von Mensch und Hund besteht seit mindestens 12.000 Jahren. Der Hund ist das älteste domestizierte Tier. Angesichts der positiven Eigenschaften, die ihm zugeschrieben werden, kann es nicht überraschen, dass sich die demokratischen Regierenden der Neuzeit vor allem mit Hunden umgeben. Kurt Kotrschal, Verhaltensforscher und Autor des Buchs "Der Faktor Hund", weiß um die positiven Begleiterscheinungen, die es mit sich bringt, einen Hund zu halten: "Menschen, die Hunde besitzen, werden eindeutig positiver wahrgenommen als solche ohne." Für einen Politiker sei der Hund gar "ein soziales Schmiermittel, das ihn in der Öffentlichkeit als sozial, nett und umgänglich darstellt". Nach Kotrschal hilft der Hund in der Politik, den Geschmack des gesellschaftlichen Mainstreams zu treffen, "so ähnlich, wie öffentlich Kinder zu küssen". Die Liste der Hunde haltenden Politiker ist deshalb lang: Schon mit dreiundvierzig amerikanischen Präsidenten zogen bisher über vierhundert "first dogs" ins Weiße Haus ein.
Aus Amerika kommt auch die Mode, das Tier nicht nur als sympathiesteigerndes Accessoire zu führen, sondern es auch für politische Statements zu instrumentalisieren, die über die Boulevardblätter geschickt weiterverbreitet werden.
So konnte sich F. D. Roosevelt beispielsweise 1944 gegen den Vorwurf des Missbrauchs von Steuergeldern verwahren, indem er seine beliebte Terrierhündin Fala zur Rechtfertigung heranzog. Fala, so erklärte er in einer Rede, die noch heute als "Fala speech" bekannt ist, sei nach einem Besuch der Aleuten versehentlich dort zurückgeblieben. Und es hätte eines Kriegsschiffs der US Navy bedurft, um die Hündin so schnell wie möglich zurückzuholen.
Was bei amerikanischen Politikern funktioniert, wird von anderen natürlich gerne adaptiert: Silvio Berlusconi hat zwar keinen Hund, dafür aber eine Katze. Als ihm das Perserkätzchen Miele während seiner Zeit in der Opposition von Parteifreunden geschenkt wurde, wusste er damit nicht besonders viel anzufangen. Erst als er den Marketingwert des Kätzchens entdeckte, gewann das Geschenk Sinn: Berlusconi ließ verlauten, Mieles liebstes Spielzeug, eine kleine, aufziehbare Maus, trage den Namen Romano - wie sein damaliger Rivale Prodi. Und Wladimir Putins Labradorhündin Koni ist in Russland ein echter Medienstar. Im vergangenen Oktober warb Putin mit Koni für den neuen russischen Navigationssatelliten Glonass, mit dessen Hilfe er seinen Labrador nun über ein spezielles Halsband auf der ganzen Welt orten könne. Ebenfalls nicht ganz zufällig kann es zu jenem Zwischenfall vor zwei Jahren gekommen sein, als die Hunden gegenüber bekanntermaßen eher vorsichtige Angela Merkel beim Staatsbesuch in Russland auf Koni stieß. "Ein guter Hund", beruhigte Putin damals - aber eben doch ein großer, schwarzer, anwesender Hund. Ein wohlmeinendes Herrchen hätte es dazu gar nicht erst kommen lassen.
Überhaupt, die Labradorhunde: Bei dem freundlichen Familienhund handelt es sich um die Lieblingsrasse der Amerikaner - und zufällig auch um den häufigsten Vertreter der political animals im Weißen Haus. Kotrschal präzisiert: "Labradore und Golden Retriever sind nette Hunde, die nette Menschen machen. Rottweiler und Deutsche Schäferhunde dagegen sind Selbstdarsteller-Hunde." Womit die deutschen Politiker ein Problem hätten. Denn der Lieblingshund der Bundesbürger ist nach wie vor der Deutsche Schäferhund, bloß: Mit dem kann man sich ja nicht sehen lassen.
Dass der Schäferhund nach 1945 politisch nicht mehr salonfähig ist, liegt für Historiker Wolfgang Wippermann daran, dass für viele noch immer die Bilder von Hitler und "Blondi", Hitlers weiblichem Schäferhund, präsent sind. Wippermann, Autor des Buches "Die Deutschen und ihre Hunde. Ein Sonderweg der deutschen Mentalitätsgeschichte", geht davon aus, dass das "schlechte Image" des Schäferhundes in Deutschland auch auf andere Hunderassen übergegangen ist, "so dass es deutsche Politiker vorziehen, sich nicht mehr mit ihren Hunden zu zeigen, obwohl sie teilweise selber welche haben".
"Hitler hatte das größte Vergnügen, wenn Blondi wieder ein paar Zentimeter höher springen konnte", notierte Traudl Junge, Hitlers Sekretärin, über den Menschen Hitler zwischen Herrchen und Herrscher. Auch Hitler wusste bereits von der Volksnähe, die sich über den Hund vermitteln lässt. Etliche Wochenschauen, alle unter der Regie des NS-Starfotografen Walter Frentz, zeigen Bilder von Herr und Hund, immer bei Sonnenschein, immer im Einklang miteinander. Nicht eine der Aufnahmen wurde bei bedecktem Himmel gedreht.
Doch vielleicht wird der Schäferhund hierzulande ganz zu Unrecht gemieden. Zwar ist die Art bewusst auf die "deutschen" Eigenschaften Aggressivität und Submission hin gezüchtet worden, und natürlich waren es vor allem Schäferhunde, die in den KZs zu gefürchteten Kampfmaschinen ausgebildet wurden; aber unter der Bevölkerung Israels scheint es dennoch keine Ressentiments zu geben: Im vergangenen Oktober wurde der Deutsche Schäferhund dort ebenfalls zum beliebtesten Haushund gewählt.
Ob Labrador, Schäferhund oder Pudel, Hunde sind prinzipiell eher Begleiter von männlichen Politikern. Die Frauen, die in der Politik Einfluss besitzen, halten sich auffällig zurück bei der Anschaffung vierbeiniger Accessoires. Zwar fehlten noch endgültige Daten, dennoch könne man, so Kotrschal, prinzipiell davon ausgehen, "dass Männer sich einen Hund oft als eine Art verlängertes Ego halten, während Frauen im Hund eher den Sozialgefährten sehen". Womöglich wäre die symbolische Aufladung des Hundes für die Frau in der Politik einfach kontraproduktiv. Das Beschützen von Heim und Hof, die Treue zum Frauchen, das Bewahren des Eigentums: all dies wirft der Politikerin indirekt wieder die Kittelschürze über das teure Kostüm, wo es doch noch gar nicht so lange her ist, dass sie sie endlich ablegen durfte. Das Image vom Heimchen am Herd gilt es prinzipiell zu vermeiden, deshalb haben Frauen in der Politik, wenn überhaupt Tiere, dann Katzen.
Die Katze, das eindeutig privatere Tier, der Eigenschaften wie Unabhängigkeit und Freiheitsliebe zugeschrieben werden, besitzt kaum Außenwirkung und sperrt sich daher gegen eine weitergehende Instrumentalisierung. Margaret Thatcher hatte eine Katze, Condoleezza Rice hat eine Katze, Angela Merkel hat einen Affenbrotbaum. Zu mehr fehle es ihr an Zeit, steht auf ihrer Website zu lesen, aber schon als Kind habe sie Tiere lieber aus der Entfernung beobachtet.
Einzige prominente Hundehalterin in der Politik ist Queen Elizabeth mit ihren neun Corgis, die mit Sicherheit zur High Society der "political animals" zu zählen sind. Ein Anwärter könnte den britischen Elitehündchen allerdings in Kürze den Rang ablaufen: Obamas neuer "first dog" wird schon im Vorfeld aufgewertet, muss er doch zwei kniffligen Ansprüchen gerecht werden: keine Allergie auslösen und ein Welpe aus dem Tierheim sein - diese Bedingungen versetzten eine ganze Nation in Rätsellaune. Und nicht nur in den USA, sondern auch im Rest der Welt macht man sich Gedanken. Aus Lima etwa wurde ein junger "Peruanischer Nackthund" angeboten, der insgesamt eher an eine vierbeinige Fledermaus erinnert. Doch statt auf die 2.000 Jahre alte Kulturrasse, mit der man sich angesichts der Golden-Retriever- und Labrador-WASPs anderer Staatsmänner schnell zum Gespött gemacht hätte, setzt Obama lieber auf neu Gezüchtetes: Eigentlich habe er eher an einen Goldendoodle, eine hypoallergene Mischung aus Pudel und Golden Retriever, gedacht, hieß es lapidar. Auch Wippermann wollte keinen Vorschlag für den "perfekten Obama-Hund" unterbreiten: Das sei schwierig, schließlich sei er "ja doch auch für die Kinder".
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