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Alke Wierth Die FußgängerinEin Geburtstag, der einem doch was Besonderes abverlangt

Foto: privat

Ich werde demnächst einfach so mitten in der Woche 60 und bin eigentlich jemand, der Geburtstage feiert oder auch nicht und sie immer als ganz normale Lebenstage mitten in einer Woche, in einem Leben betrachtet hat. Doch dieser Geburtstag verlangt mir anderes ab – von Mitte kann derzeit keinerlei Rede mehr sein. Und das gilt vollumfänglich.

Dieser Geburtstag lässt sich nicht ignorieren. Er fordert mich aktiv heraus, und ich meine damit, dass er scheinbar eigenmächtig handelt: Zum Beispiel indem er mir Träume schickt, die mir durchaus unangenehme Selbsterkenntnis geradezu mit der Holzhammermethode aufzwingen – ich wache auf und muss gar keine Zeit mehr an Traumanalyse verschwenden, sondern denke einfach: Fuck, Alke, es stimmt, so bist du. Er scheint, mit mir zu spielen, dieser Geburtstag, indem er mich mit der Nase in meinen eigenen Dreck stupst wie einen Hundewelpen, und mich dabei gleichzeitig auf blinde Flecken meines Lebens stoßen lässt, als wäre ich eine alte Frau, die in ein Bällebad der Erinnerungen gefallen ist.

Das ist gar nicht nur und immer schmerzhaft, weil es Klarheit fördert – was aber keineswegs so verstanden werden soll, dass ich diese Einsichten und Lehren wie eine weise alte Frau milde verzeihend willkommen heiße. Im Gegenteil: Ich fühle mich eher wie ein Teenager, dessen Blick auf sein Leben dem in ein Kalei­doskop ähnelt, in dem sich unzählige bunte Teilchen auf verwirrende Weise zu immer wieder neuen Bildern formieren – nur, dass ein Teenager dabei in die Zukunft blickt und ich in die Vergangenheit. Wie gesagt, von Mitte kann gerade keine Rede sein.

Ist aber auch egal. Denn immerhin haben mich sechs Jahrzehnte Leben glücklicherweise offenbar soweit stabilisiert, dass ich solche Verwirrung heute aushalten kann. Und irgendwie ist ja auch dieses Teenagergefühl ganz lustig, weil es so vollständig unerwartet ist! Ich hätte jedenfalls nie damit gerechnet, dass ich mit 60 wieder – immer noch? – vor den Fragen stehen würde: Was fange ich mit dem Rest meines Lebens an? Wie möchte ich es leben können?

Und wissen Sie was? Ich habe heute, mit fast 60, genauso wenig Antworten auf diese Fragen, wie ich sie mit 16 hatte. Und auch das ist egal. Denn was ich habe, worauf mich dieser 60. Geburtstag mit seinem merkwürdigen Eigenleben stupst, das ist Vertrauen, auch Selbstvertrauen.

Ja, ich finde das Bild vom Leben als Kalei­doskop selbst peinlich kitschig, aber lassen Sie es mich noch einmal bemühen: Wenn das Leben ein Kaleidoskop ist, dann kann man es nicht selbst bewegen und schon gar nicht fixieren und dann einfach nur noch darauf hinarbeiten, das Muster, das einem am besten gefallen hat, einfach nachzubauen. Denn es bewegt sich von allein – das ist das Leben. So bist du, zeigt mir mein 60. in meinen Träumen, das hast du getan: Diese Chance genutzt, diese unerkannt verstreichen lassen, da warst du gut, da ein Arschloch, diese Fehler hast du begangen und kluge Entscheidungen manchmal mehr aus Zufall getroffen als aus einem lange überlegten Plan. Und ich erkenne dabei, dass das Leben wie mein 60. Geburtstag auch ein Eigenleben hat. Es nimmt mich mit, es schubst mich herum, es stresst mich manchmal, manchmal macht es mir Spaß – und ich wuppe das. Ich lebe es, und die Fehler, die ich dabei mache, verzeiht es mir meist irgendwann.

Er scheint mit mir zu spielen, dieser Geburtstag, der sechzigste

Es ist ein gutes Gefühl, ein schönes Geschenk, das mein bevorstehender Geburtstag mir auf seine verwirrend eigenmächtige Art und Weise da macht. Beruhigend. Erwachsen irgendwie. Oder jedenfalls so, wie ich mir als Teenager immer das Erwachsenenleben vorgestellt habe – nur viel aufregender.

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