■ Ein Epilog zum Film „Philadelphia“: Das Sterben der Statisten
New York (taz) – Tom Hanks, der in „Philadelphia“ den schwulen Rechtsanwalt Andrew Beckett spielt, sitzt zu Beginn des Films in einer Aids-Klinik. Als ambulanter Patient hängt er am Tropf. Neben Hanks läßt ein Aidskranker die gleiche Prozedur über sich ergehen. Eine taktlose Krankenschwester hat dem hageren Mann soeben einen Kaffee mit Süßstoff angeboten. Der lächelt Hanks an und sagt: „Sehe ich wirklich so aus, als hätte ich kalorienarmen Zucker nötig?“ In der gleichen Szene sieht man noch einen anderen, sehr zurückhaltenden Patienten sitzen, sein Gesicht ist mit Flecken übersät.
Der hagere Mann, dargestellt vom New Yorker Schauspieler Daniel Chapman, und der zurückhaltende Mark Sorensen, der in „Philadelphia“ zum ersten Mal vor der Kamera stand, sind inzwischen gestorben. 43 Männer von insgesamt 53, die in „Philadelphia“ mitgespielt haben und bei denen Aids bereits ausgebrochen war oder die mit dem HI-Virus infiziert waren, sind nicht mehr am Leben.
Darunter auch Ron Vawter, ein schwuler Schauspieler, der Andrews heterosexuellen Kollegen mimte, sowie Michael Callen, einer von fünf „Flirtations“-Sängern. Der A-cappella-Chor tritt in „Philadelphia“ während Andrews Kostümparty auf. Vawter starb letzten April im Flugzeug, über den Wolken hörte sein Herz plötzlich auf zu schlagen. „Es war entsetzlich“, sagt sein langjähriger Freund Greg Mehrten. „Ich mußte fünf Stunden neben dem toten Ron sitzen.“
„Flirtations“-Sänger Michael Callen mußte letzten Februar eine Tournee unterbrechen, kurz nachdem er in „Philadelphia“ vor der Kamera gesungen hatte. Er starb mit 38 Jahren.
Die infizierten und erkrankten Männer spielten Aids-Aktivisten und Klinik-Szenen, sie tauchten im Gerichtssaal und bei der Party auf. Action Aids Philadelphia, größte Aids-Hilfe der Stadt, hatte den Filmproduzenten beim Casten geholfen. Besonders schwierig, so Bruce Flannery von Action Aids Philadelphia, sei es gewesen, Statisten für die Gerichtsszenen zu verpflichten. „Die mußten einen Monat lang verfügbar sein und die anstrengenden Drehtage durchhalten können.“
David Bertugli, ein Nebendarsteller mit Vollbild Aids, erinnert sich an einen Abend nach dem Drehen. Zusammen mit einem anderen Schauspieler spülte er Geschirr ab. Danach schrubbte der Kollege sich seine Hände mit Alkohol. „Er hatte Angst, sich zu infizieren“, erzählt Bertugli. Im Herbst 1992, als die Dreharbeiten zu „Philadelphia“ begannen, war das Gesicht von Mark Sorensen bereits mit Kaposi-Flecken gezeichnet. Als er in der Klinik- Szene auftreten sollte, die an einem einzigen Nachmittag gedreht wurde, erklärte er Tom Hanks, er wolle seine Kaposi-Flecken nicht unter Make-up verstecken. „Er wollte den Menschen zeigen, wie man mit Aids aussieht“, sagt seine Mutter Ann Sorensen.
Mark lebte nicht lange genug, um die Oscarverleihung noch mitzuverfolgen. Als „Philadelphia“ noch geschnitten wurde, erfuhr Regisseur Jonathan Demme, daß Sorensen im Sterben liege. Demme habe, so berichtet Flannery von der Aids-Hilfe Philadelphia, sofort eine Assistentin mit einer Video-Rohfassung von New York nach Philadelphia geschickt.
Es war der 16. September 1993, als die Assistentin am frühen Abend vor Sorensens Haustür stand und klingelte. Mark Sorensen war bettlägerig, aber er wollte auf keinen Fall den Film vom Bett aus sehen. So trugen seine Eltern und sein Cousin ihn die Treppen hinunter ins Wohnzimmer, wo sie alle zusammen „Philadelphia“ anschauten. Am nächsten Tag starb er. Thorsten Schmitz
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