: Ein Eigentümer, dem nicht an Rendite liegt
Sonderfall Volkswagen: Die Führung kämpft gegen die vielfältigen Probleme einer hausgemachten Kostenkrise
BERLIN taz ■ Der letzte VW Käfer lief vor einigen Jahren in Brasilien vom Band. Der Käfer war ein Auto für alle, eben fürs ganze Volk: billig und einfach zu handhaben. Der Nachfolger heißt New Beetle, Neuer Käfer, und ist ein Wagen für den gut verdienenden Single. Teuer und mit vielen Knöpfen.
Käufer und Wagen werden gerne mit Premiumsegment umschrieben. Genau dahin wollte der einstige VW-Chef Ferdinand Piëch das Unternehmen steuern. Die Luxusmarke DaimlerChrysler rief Piëch zum größten Konkurrenten aus und kaufte die Nobelmarken Bentley, Lamborghini und Bugatti, damit Volkswagen von deren Strahlkraft profitiere. Dann ließ Piëch den Oberklasseschlitten Phaeton bauen, womit sich VW endgültig von jenen Autolenkern verabschiedete, die sich mit regendichtem Dach und zuverlässigem Motor zufrieden gegeben hätten. Folge: Die Autos aus Wolfsburg wurden besser. Aber eben auch teurer. Zu teuer. Zwischen 1999 und 2004 sank der Absatz von 1,7 Millionen Fahrzeugen um 18 Prozent auf schätzungsweise 1,4 Millionen.
Der neue Golf zum Beispiel. Bei durschnittlich knapp 25.000 Euro hörte der Spaß für viele Kunden auf. Dafür gibt es zwar eine selbst lenkende Hinterachse. Die ergibt aber erst ab Geschwindigkeiten Sinn, die ein Golf glücklicherweise nur mit Mühe erreicht. VW hat nachgebessert. Jetzt gibt es die Klimaanlage umsonst und günstigere Preise für die Sonderausstattung. Inzwischen ist der Golf mit weit über 300.000 verkauften Fahrzeugen seit Januar wieder Spitzenreiter in Europa.
Der Absatz stimmt also wieder. Aber die Gewinne reichen nicht. Im Jahr 2003 bleiben am Ende mit 1,1 Milliarden Euro 60 Prozent weniger in der Kasse als im Vorjahr. Für dieses Jahr werden statt der geplanten 2,5 nur 1,9 Milliarden Euro erreicht.
„Wir leben über unsere Verhältnisse“, gesteht Piëch-Nachfolger Bernd Pischetsrieder. Sparen heißt die neue Marschrichtung. „Wir suchen nach jedem Euro“, sagte der Ex-BMW-Mann dem Spiegel. Bis zu vier Milliarden Euro will er bis Ende 2006 zusammenkratzen. Bis 2011 sollen die Personalausgaben um 30 Prozent sinken. Das entspricht weiteren zwei Milliarden Euro oder 30.000 Arbeitsplätzen. Die Wolfsburger VW-Mitarbeiter liegen mit ihren Einkommen fast 15 Prozent über dem Flächentarif in der Metallindustrie. Ein Grund, warum VW pro verkauftem Auto nur noch 50 Euro Gewinn einstreicht. Toyota kommt auf 1.800 Euro pro Fahrzeug.
Eine Studie der Fachhochschule Gelsenkirchen zufolge könnte VW jährlich 1,5 Milliarden Euro sparen, wenn die Löhne auf ähnlich niedrigem Niveau wären wie in Frankreich. Pischetsrieder fordert daher wenigstens zwei Nullrunden. Die Metall-Gewerkschaft will hingegen vier Prozent mehr Lohn – und eine Arbeitsplatzgarantie. Der Vorteil der VW-Arbeiter: Sie wissen im Zweifel den Eigentümer des größten Aktienpaketes hinter sich: Das Land Niedersachsen hält 18 Prozent am Konzern und verfügt damit über eine Sperrminorität. Die Landesregierung legt traditionell wenig Wert auf hohe Rendite. Sie will ein zufriedenes Wahlvolk. Am Stammwerk Wolfsburg arbeiten 60 Prozent der deutschlandweit 100.000 Beschäftigten.
Die Kommission der Europäischen Union will den Einfluss des Landes verringern. Das so genannte VW-Gesetz soll gekippt werden, das dem Land Sonderrechte einräumt. Branchenkenner wie Ferdinand Dudenhöffer von der Fachhochschule Gelsenkirchen glauben, dass VW langfristig davon profitieren würde. Der Konzern könnte dann stärker am Markt orientiert arbeiten. Zukünftig sollen sich die Innereien von VW, Audi, Seat und Skoda immer ähnlicher werden. Bisher ist der Anteil baugleicher Teile im Vergleich zu den Mitbewerbern zu gering. Pischetsrieder will mehr Modelle und weniger unterschiedliche Teile. Außerdem: zurück zur Basis. Die Volkswagen sollen wieder Wagen fürs Volk werden – auch für das mit weniger Geld.
Im Frühjahr wird der Kleinwagen Fox auf den deutschen Markt kommen. Der erste VW seit langem für unter 10.000 Euro. Hat Pischetsrieder mit seinem Konzept Erfolg, könnte sich ein anderes Problem von selbst erledigen: die Überkapazitäten. VW könnte sechs Millionen Fahrzeuge pro Jahr bauen, verkauft aber nur fünf Millionen. Ein Werk müsste geschlossen werden, um die Kapazitäten den Realitäten anzupassen. Das aber ist politisch wohl kaum durchsetzbar.
THORSTEN DENKLER