Ein Castor als Dauerlager

Seit Juli steht der mit Brennstäben beladene Transportbehälter nun schon unter freiem Himmel vorm Atomkraftwerk Philippsburg  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Der Behälter mit den Brennelementen steht hier nun ein halbes Jahr“, sagt Detlev Vogel, Sprecher vom AKW Philippsburg. Und lautstark fügt er hinzu: „Er kann hier gut auch sieben oder auch neun Monate stehen bleiben.“ Detlev Vogel, der Wert darauf legt, in einem „Kern- und keineswegs in einem Atomkraftwerk“ zu arbeiten, ist deutlich der Ärger anzumerken über jenen für Gorleben bestimmten Castor-Behälter, der im Sommer erst im dritten Anlauf mehr schlecht als recht mit neun Brennelementen beladen werden konnte. Seither steht er mit einer blauen Plane abgedeckt auf einem Güterwagen vor dem AKW. „Zu Weihnachten wollten wir schon einen Tannenbaum oben rauf setzen – damit der Behälter auch etwas zum Strahlen hat“, meint Vogel sarkastisch.

Offiziell steht der Castor in Philippsburg in „Transportbereitschaft“. An dieser Sprachregelung hat auch die Entscheidung des Lüneburger Verwaltungsgerichts nichts geändert, das vor sechs Wochen die Einlagerung des Behälters in Gorleben untersagte.

Schon seit Anfang November harren bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Reihe von Strafanzeigen wegen unerlaubten Umgangs mit Kernbrennstoffen der Bearbeitung. Immerhin sieht das Gesetz für illegale Lagerung von Atommüll Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren vor. Eine Strafanzeige des BUND Baden-Württemberg richtete sich dabei von vornherein nicht nur gegen die Betreiber des AKW Philippsburg, sondern auch gegen Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer. Schließlich hatte der seinen Amtskollegen in Baden- Württemberg bundesaufsichtlich angewiesen, die Zwischenlagerung auf dem Bahngleis weiter zu dulden. Weil auch Umweltministerin Angela Merkel den Castor nicht vom Gleis holen will, hat der BUND Baden-Württemberg kürzlich auch gegen sie Strafanzeige erstattet. Über die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Betreiber und Minister haben die Karlsruher Staatsanwälte bisher jedoch noch nicht entschieden. Vorher müsse man die Angelegenheit mit dem Behälter rechtlich bewerten. Und das sei sehr schwierig, weil es keinen Präzedenzfall gebe.

In der Tat hat in der Bundesrepublik noch nie ein beladener Castor-Behälter über Monate im Freien rumgestanden. Während des Transports darf er höchstens einige Tage lang abgestellt werden. „Früher haben wir in den Transportgenehmigungen die Stillstandszeiten ausdrücklich auf 24 oder 48 Stunden befristet“, erläuterte Martin Kosak vom Bundesamte für Strahlenschutz. Heute seien – etwa beim Transport von Behältern per Schiff – auch einige Tage erlaubt.

„Stillstandszeiten von Monaten oder einem halben Jahr sind allerdings generell durch unsere Genehmigungen nicht gedeckt“, sagt Kosak klipp und klar.

Wenn Castor-Behälter nicht dem Transport, sondern der Aufbewahrung von Atommüll dienen, müssen sie überwacht werden. So sehen es die Aufbewahrungsgenehmigungen etwa der Zwischenlager in Ahaus und auch in Gorleben vor. Die Behälter sind dann an ein Überwachungssystem anzuschließen, das Alarm schlagen soll, wenn die Castor-Deckel undicht zu werden drohen.

Natürlich ist der Behälter in Philippsburg „nicht an ein Überwachungssystem angeschlossen“, wie AKW-Sprecher Vogel unumwunden zugibt. Als rechtliche Grundlage für die Lagerung des Behälters auf dem Gleis nennt er „unsere Betriebsgenehmigung in Verbindung mit der jetzt vom Bundesamt für Strahlenschutz auf das Jahr 1995 verlängerten Transportgenehmigung“. Die Betriebsgenehmigung erlaube ausdrücklich auch das Bereitstellen von beladenen Behältern für den Transport, sagt Vogel.

Das Bundesamt für Strahlenschutz sieht sich für das illegale Zwischenlager in Philippsburg nicht zuständig. „Unsere Genehmigung gilt erst, wenn der Behälter den Kraftwerkszaun passiert hat“, meint Martin Kosak. Bis dahin sei das ganze Sache Angelegenheit der Aufsichtsbehörde in Baden- Württemberg – also des Stuttgarter Umweltministeriums.

„Sicher legen wir gegenwärtig das Atomrecht größzügig zugunsten des Betreibers des Kernkraftwerkes Philippsburg aus“, räumt Harald Notter, Sprecher von Landesumweltminister Harald B. Schäfer, ein. Allerdings sei es auch schwierig und zeitaufwendig, den Behälter wieder zu entladen. Dafür sei erst einmal ein Gutachten des TÜV einzuholen. „Von Sommer bis Herbst ist der Behälter tatsächlich in Philippsburg illegal gelagert worden“, meint der Ministeriumssprecher, denn damals habe Töpfer bewußt die Bundestagswahlen abgewartet. Erst seit dem – in letzter Minute gestoppten – Versuch, den Atommüll nach Gorleben zu bringen, gehe man wieder von einer Transportbereitschaft des Castors aus.

Je länger der Castor in Philippsburg steht, desto legaler scheint demnach seine Lagerung für das Landesumweltministerium zu werden. Es handele sich eben um eine rechtlich komplizierte Materie, meint der Ministeriumssprecher. Außerdem gehe man ja nur deswegen von einem zum Abtransport bereiten Behälter aus, weil das Oberverwaltungsgericht Lüneburg schon in der ersten Januarhälfte in zweiter Instanz über dessen Einlagerung in Gorleben entscheiden werde. „Diese Auskunft hat uns das Gericht gegeben“, sagt der Ministeriumssprecher.

Beim Oberverwaltungsgericht Lüneburg trifft diese Aussage allerdings auf entschiedenen Widerspruch: „Wir haben die Erwartung auf eine Entscheidung in der ersten Januarhälfte nicht genährt.“