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Ein Buch für Melancholiker: Der Satellitenbild-Atlas

Das Aufregendste, versichern die Astronauten, die mit dem Spacelab um die Erde gerast sind, war nicht der Blick hinaus ins All, sondern der Blick zurück. Die „Schönheit unserer Erde“, heißt es, trete von dort oben aus der Umlaufbahn in den leuchtendsten Farben zutage. Daß daran etwas ist, führt der neue Satellitenbild-Atlas nun auch Nichtastronauten vor Augen.

Aber es ist doch wohl nicht die reine Schönheit, interesselos zu bewundern, die einem aus den hier versammelten Bildern entgegentritt und ihre Wirkung ausmacht. Der Reiz dieses „Porträts unseres Planeten“ kommt nicht allein vom Gegenstand, sondern von der Perspektive auf ihn. Vielleicht ging es bei dem sogenannten Kampf um die „Eroberung des Weltalls“ niemals wirklich um die Erschließung neuer Welten, sondern um die Umstürzung der Blickordnung der christlich- abendländischen Welt. Dafür sprechen jedenfalls die gebannt rückwarts auf den Heimatplaneten gerichteten Augen der Astronauten. Hatte man sich nicht so den göttlichen Blick vorgestellt? Der Blick aus dem All ist das schlechthin unüberbietbare Schauspiel des Erhabenen.

Allein, der euphorische Moment, in dem der Mensch das Schauspiel da unten auf der Erde aus der verwaisten Königsloge betrachtet, entpuppt sich als höchst ambivalent. Daß die Bilder dieses Atlas die göttliche Perspektive, an der sich einst nur die Astronauten berauschten, demokratisieren, ist die eine Seite; daß sie das wahre Ausmaß der Zerstörung der Erde in eben jenem Moment offenbaren, indem wir sie erstmalig als Ganzheit erblicken können, die andere, ebenso unabweisbare. Die Erhabenheit der Perspektive und die Male der Zerstörung, die von dort oben sichtbar werden, sind – wie wir wissen – gleichursprünglich; beide entspringen der Macht der Technik.

Und die Zerstörung ist nicht einfach häßlich: Durch die landwirtschaftsbedingte Wasserentnahme und die daraus resultierende Verlandung hat der Aral- See den Umriß eines menschlichen Profils bekommen. – Weh dem, der Symbole sieht! Die technischen Bilder der Satellitenkamera dekonstruieren am Ende die Technik selbst. Es tröstet kaum, wenn die Autoren des Begleittextes uns verkünden, mit der Satellitentechnik sei uns ein segensreiches Mittel der Überwachung von Umweltschäden zugewachsen. Die Bilder, die uns hier vorliegen, weiß der melancholische Betrachter, sind nur um den Preis der Zerstörung dessen zu haben, das sie dokumentieren. Dies Buch, das mit einer kindlichen Begeisterung für die Hochtechnologie daherkommt, ist das traurigste Buch der Welt.Jörg Lau

Abb.: Der verlandende Aral-See. Entnommen aus: Priscilla Strain, Frederick Engle: „Porträt unseres Planeten. Satellitenbild-Atlas“. Westermann Verlag, 304 Seiten, zahlreiche Farb-Abb., 88 DM

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