: Ein Abschied voller Wutgeheul
■ Mit Trotzgesten verlassen serbische Nationalisten den Vorort Ilidza bei Sarajevo. Die Föderationspolizei übernimmt die Kontrolle. UNHCR richtet Zufluchtshaus für bleibewillige Serben ein
Mit 90 Polizisten hat die kroatisch-muslimische Föderation gestern in Sarajevo den bisher serbisch kontrollierten Vorort Ilidža übernommen. Die Beamten wollten nach Angaben der UNO-Polizei IPTF noch im Laufe des Tages mit Streifengängen beginnen.
Hunderte Bosnier aus Sarajevo zogen am Vormittag jubelnd und mit Fahnen in Ilidža ein. Der Vorort wurde als vierter von fünf Stadtteilen an die Föderation übergeben. Als letzter soll am 19. März Grbavica folgen. Bei der Übernahme von Ilidža wurden erneut die Spannungen zwischen Kroaten und Muslimen deutlich. Kroatische Polizisten aus Kiseljak nahmen nicht, wie vereinbart, an der Übergabe teil, weil es Streit um die richtigen Uniformen gab. Der stellvertretende EU-Koordinator Michael Steiner warnte nachdrücklich vor Unkorrektheiten, weil jedes Detail den Friedensplan gefährden könnte. In der Polizeitruppe, die gestern in Ilidža einzog, sollen entsprechend der Bevölkerungszusammensetzung vor dem Krieg 51 Muslime, 26 Serben und 13 Kroaten sein. An mehreren Stellen brannten gestern in Illidža noch Gebäude. Am Morgen hatte sich der Exodus der einstmals 20.000 Serben von Ilidža in einem langen Strom von Lastwagen, Autos, Traktoren und Fuhrwerken fortgesetzt. Die zum Teil betrunkene serbische Polizei feuerte in einer Trotzgeste mit Pistolen in die Luft und versuchte, ihr Wachgebäude anzuzünden. Sie brannte außerdem Schulen, Wohnhäuser, ein Gemeindezentrum, ein Krankenhaus und mehrere Fabriken nieder. Unterstützt wurde sie dabei von serbischen Nationalisten und Jugendlichen. In Kroatien sprach sich gestern eine Mehrheit im Senat dafür aus, angeklagte Kroaten dem Tribunal zu übergeben. Kroatische Nationalisten hatten dagegen protestiert, weil die vor dem Tribunal angeklagten Kroaten „Helden“ und „Schutzherren der Kroaten in der Herzegowina“ seien.
Das Tribunal verlangte gestern erneut die Auslieferung der serbischen Soldaten Radoslav Kremenović und Drazen Erdemović, die in der ehemaligen UNO-Schutzzone Srebrenica Massenerschießungen beobachtet haben sollen. Der stellvertretende Chefankläger wollte gestern in Belgrad über eine Überstellung der Männer verhandeln. Angeblich wollte Belgrad mit ihrer Festnahme eine Aussage vor dem Tribunal verhindern.
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) hat in Grbavica ein bewachtes Zufluchtshaus für bleibewillige Serben eingerichtet. Nach den schlimmen Erfahrungen in Ilidža solle Serben die Angst vor den Extremisten genommen werden, sagte UNHCR-Sprecher Ron Redmond. Die Serben befürchten allerdings, daß ihre Wohnungen zerstört werden, wenn sie im UNHCR-Haus Zuflucht suchen. AP/dpa
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