Eike Bohlken vom katholischen Institut für Philosophie: "Abschied vom Atom"
Das katholische Institut für Philosophie wendet sich in einer Stellungnahme gegen Laufzeitverlängerungen für AKWs - und damit auch gegen den Heiligen Stuhl.
taz: Herr Bohlken, wie steht die katholische Kirche zur Atomfrage?
Eike Bohlken: Vom Heiligen Stuhl gibt es Stellungnahmen, die sich eindeutig für eine friedliche Nutzung der Kernenergie aussprechen. Dahinter steht die Idee, dass die Kernenergie weltweiten Wohlstand und Verteilungsgerechtigkeit fördert.
Was halten Sie davon?
Wir kommen mit den gleichen Wertmaßstäben zu einem anderen Ergebnis: Gerade Verteilungsgerechtigkeit erfordert eine radikale Energiewende und damit den Abschied von der Atomenergie.
Mitherausgeber von: "Kirche - Kernenergie - Klimawandel. Eine Stellungnahme mit Dokumenten".
Das katholische Forschungsinstitut für Philosophie hat sich nun in einer 20-seitigen Stellungnahme auch gegen die Laufzeitverlängerung ausgesprochen. Wie kam es dazu?
Das Papier entstand am Institut auf Anregung des Umweltbeauftragten und des Generalvikars des Bistums Hildesheim. Wir haben aber eine Argumentation entwickelt, die auch für Nicht-Christen überzeugend ist. In den anderen kirchlichen Dokumenten wird auf die "Bewahrung der Schöpfung" verwiesen. Wir argumentieren mit den Begriffen des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit, mit Begriffen also, die zwar eine christliche Tradition haben, aber nicht an Glaubensannahmen gebunden sind.
Was ist der Kern der Kritik?
Es geht für uns über die Begriffe des Gemeinwohls und der Nachhaltigkeit um globale und intergenerationelle Gerechtigkeit. Diese Argumentation schließt aber auch konkrete Sachverhalte ein: die Gefährdung durch Störfälle, terroristische Anschläge oder Verbreitung von Atomwaffen. Und am wichtigsten: die ungelöste Endlagerung.
Im Bistum Hildesheim liegen die Schachtanlage Asse und der Salzstock Gorleben. Wofür steht für Sie der Name Asse?
Die Asse ist ein Symbol für Mauschelei und Vertuschungspolitik, für das Versagen der politisch und wirtschaftlich Verantwortlichen.
Und Gorleben …
… steht für eine langfristige Debatte, die noch zurückreicht in die Zeit wissenschaftlicher Fortschrittseuphorie und technokratischer Machbarkeitsgläubigkeit. Wir gehen dagegen davon aus, dass die Kernenergie wegen der nicht geklärten Endlagerungsfrage massive Risiken für die lebensfreundlichen Umweltbedingungen zukünftiger Generationen als einem fundamentalen Gemeinwohlgut beinhaltet.
Wo das Problem so alt ist: Warum kommt die katholische Kirche mit der Kritik zu so einem späten Zeitpunkt?
Wir sprechen nicht für die katholische Kirche, sondern haben als einzelnes Institut unsere Auffassung entwickelt. Ich würde aber sagen, dass die Kritik auch nicht so spät kommt: Die deutsche Bischofskonferenz hat 2006 eine ähnliche Stellung bezogen wie wir, auch wenn sie sich nicht zu den Laufzeiten geäußert hat. Noch deutlicher ist es beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, das die Laufzeitverlängerung 2008 entschieden abgelehnt hat.
Die evangelische Kirche hat das Thema früher aufgegriffen.
Das nicht, aber sie hat sich intensiver damit auseinandergesetzt.
Warum halten so viele Christdemokraten noch an der Atomkraft fest?
Ich vermute, dass es zum einen aus ideologischen Gründen geschieht, es also noch immer Leute gibt, die den alten Konzepten und einer gewissen Technikgläubigkeit anhängen; zum anderen liegt es nahe zu vermuten, dass wirtschaftliche Interessen eine Rolle spielen.
Was, wenn die sich durchsetzen?
Dann wird man mit Widerstand rechnen können. Aber auch mit einem Anwachsen der Politikverdrossenheit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Problematischer Vorstoß der CDU
Stigma statt Sicherheit
Musks AfD-Wahlempfehlung in der „Welt“
Rocky Horror Springer Show
Kleinparteien vor der Bundestagswahl
Volt setzt auf die U30
Reichtum in Deutschland
Geldvermögen auf 9,3 Billionen Euro gestiegen
Silvester in Berlin
Kein Ärger in Verbotszonen
Willkommenskultur in Deutschland
Gekommen, um zu bleiben?